ANALYSE. Der Kanzler und ÖVP-Chef hat andere Institutionen angegriffen und selbst am meisten verloren. Zu den Ermittlungen, die gegen ihn aufgenommen worden sind.
Auch wenn man bei der Interpretation sehr vieles beachten muss, bleibt etwas übrig, was bezeichnend ist: Bundeskanzler, ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Mitstreiter wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sind angetreten, eher nur Eigeninteressen zu dienen; wer stört, macht sich zum Gegner, wenn’s eng wird, findet sich immer ein solcher. Ersteres trifft auf die Justiz im Allgemein und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Besonderen zu, zweiteres – gerade in der Coronakrise – auf die Europäische Union (vgl. Text „EU: Zum Abputzen da“).
Umso bemerkenswerter ist die Entwicklung der Werte, die im Zuge der Eurobarometer-Befragungen erhoben worden sind: 72 Prozent der Menschen in Österreich gaben zuletzt an, der Justiz und dem nationalen Rechtssystem zu vertrauen. Das entspricht ungefähr dem Niveau bisheriger Befragungen. 41 Prozent sagen zurzeit dasselbe auch in Beug auf die Europäische Union. Das sind nur drei Prozentpunkte weniger als im vergangen Sommer.
Und jetzt kommt’s: Das Vertrauen in die Regierung ist um 21 Prozentpunkte auf 38 Prozent eingebrochen. (So groß war der Rückgang im EU-Raum ansonsten nur in Tschechien, der erreichte Wert entspricht etwa dem der ungarischen Regierung.) Das gegenwärtige Niveau gleicht dem der Endphase der Werner-Faymann-„Ära“ 2016 (siehe Grafik). Schlimmer: Auch das Parlament und Parteien „genießen“ mit 44 bzw. 32 Prozent so wenig Vertrauen wie schon länger nicht mehr.
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein: Das trifft jetzt womöglich auf Sebastian Kurz zu. Es könnte ihm zum Verhängnis werden, vor allem auch in den vergangenen Monaten versucht zu haben, die Glaubwürdigkeit der WKStA zu untergraben, sie zu diskreditieren und zu schwächen. Am stärksten hat er sich mit alledem selbst beschädigt.
Die WKStA hat Ermittlungen gegen Kurz und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli aufgenommen. Beide werden der Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss verdächtigt und als Beschuldigte geführt (mehr dazu). Hier schließt sich der Kreis: Bei einer solchen Entwicklung riskiert Kurz, dass die öffentliche Meinung aufgrund seiner bisherigen „Anpatz“-Bemühungen nun noch viel heftiger gegen ihn kippt; diese Bemühungen erscheinen jetzt erst recht in einem anderen, einem zumindest ungünstigen Licht für ihn.
Ebenso die türkise Kampagne gegen den parlamentarischen Untersuchungsausschuss: die Forderung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotoka (ÖVP), ausgerechnet die Wahrheitspflicht ebendort abzuschaffen; die Unterstützung von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) erst an diesem Wochenende dafür; ihre Behauptung, der Ausschuss sei nur eine „Löwinger Bühne“; oder die jüngste Aussage von ÖVP-Ausschuss-Fraktionschef Andreas Hanger im „Standard“, der „Kraut-und-Rüben-Ausschuss“ sei ein „Tribunal“. All das wird eher für noch mehr Menschen in Österreich durchschaubar.
Das größere Problem bei alledem ist freilich, dass Kurz und die Seinen hier nicht nur sich selbst schaden, sondern dass sie den politischen Raum insgesamt zerstören: Beim Eurobarometer ist ja nicht (nur) das Vertrauen in den türkisen Teil der Regierung eingebrochen, sondern in die Regierung als Institution; ebenso sind nicht nur die ÖVP und ihre Fraktion unglaubwürdiger geworden, sondern „die Parteien“ und „das Parlament“. Das könnte Österreich in jedem Fall noch sehr lange zu schaffen machen.
Zumal der Schaden noch größer werden könnte: Zur Verteidigung von Kurz in Bezug auf die nunmehrigen Ermittlungen sind etwa Kanzleramtsministerin Susanne Raab und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) angetreten, um das Parlament weiter zu diskreditieren: Es sei „unglaublich“, wie die Opposition die politische Kultur zerstöre, im Ausschuss werde mit „Unterstellungen“ und „Provokationen“ versucht, „das Wort im Mund umzudrehen“. Botschaft: Wenn Kurz eine mutmaßliche Falschaussage gemacht haben sollte (was er ausdrücklich dementiert), dann nur, weil er hinterhältig in eine Falle gelockt wurde. Das ist bemerkenswert: Als Kommunikationstalent mit sehr viel Selbstkontrolle sollte es ihm möglich gewesen sein, unmissverständlich zu vermitteln, bei der Zusammenstellung des ÖBAG-Aufsichtsrates und der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand direkt oder eben nicht involviert gewesen zu sein. Er hat so getan, als wäre er darüber nur informiert worden. Die WKStA geht davon aus, dass er mitgewirkt hat.
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