Kurz ausgeliefert

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ANALYSE. Die ÖVP hat sich mit Karl Nehammer in wesentlichen Fragen von ihrem Ex-Obmann abhängig gemacht. Damit steuert sie auf eine parteiinterne Zerreißprobe zu.

Man könnte glauben, Sebastian Kurz sei noch immer Obmann der Österreichischen Volkspartei. Es ist jedenfalls nicht selbstverständlich, was deren Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung zur Anklage wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss schrieb: Kurz habe immer betont, dass die Vorwürfe gegen ihn falsch seien, „sodass wir davon ausgehen, dass kein strafbares Verhalten vorliegt. Vor allem aber: „Dass das Verfahren so lange in Schwebe war, zeigt, dass die Vorwürfe offenbar auf sehr schwachen Beinen stehen.“ Damit ist vorgesorgt: Selbst im Falle einer Verurteilung könnte man sagen, dass sie auf einer dürftigen Grundlage erfolgt sei.

Die ÖVP zittert mit. Genauer: Sie hat sich 2017 Kurz ausgeliefert – und das auch nach seinem Rücktritt vor bald zwei Jahren nicht korrigiert. Im Gegenteil: Karl Nehammer dagradiert sich mehr und mehr selbst zu einer Art Statthalter. Nicht missverstehen: Im Unterschied zu Kurzzeitkanzler Alexander Schallenberg sieht er seine Rolle nicht so sehr darin, den Platz für Sebastian Kurz warm zu halten.

Zunächst war er, Nehammer, wirklich um Eigenständigkeit bemüht, sprach davon, ein Lernender zu sein. Vor gut einem Jahr hat er’s jedoch aufgegeben. Was er seither liefert, entspricht Kurz: Er hat dessen Mister Message Control (Gerald Fleischmann) zu seinem Kommunikationsberater gemacht. Ergebnisse: Ausgerechnet in einer Rede zur Zukunft der Nation legte er den Rückwärtsgang ein sowie Wert darauf, Österreich als Autoland zu bezeichnen. Gegen eine Schengen-Erweiterung legte er ein Veto ein und zeigte sich im Übrigen an der Seite des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Gezielt zu Migrationsfragen nämlich, auf dass auch der Letzte erkennt, dass er diesbezüglich einen harten Kurs fährt.

Gerne übernahm er zuletzt die von Johanna Mikl-Leitner angestoßene Normalitätsdebatte und eröffnete zudem eine „Debatte“ über die Verankerung von Bargeld in der Verfassung an. Um nur ja nicht als Kanzler bzw. Würdenträger wahrgenommen zu werden, duzte er das Volk dabei.

Karl Nehammer riskiert viel damit. Nicht zuletzt eine parteiinterne Zerreißprobe. Für die Umsetzung der Kurz’schen Politik engagiert er einen Niederösterreicher nach dem anderen; bzw. eine Person nach der anderen aus der nö. Volkspartei.

Klug ist das nicht. In der ÖVP macht er eher Stimmung gegen sich. Was Landeshauptleute abseits von Mikl-Leitner über die Normalitäts- und Bargelddebatte oder eine mögliche Koalition mit der FPÖ (auch ohne Herbert Kickl) nach der kommenden Nationalratswahl zuletzt gesagt haben, hat’s in dieser abweichenden Form seit Reinhold Mitterlehner nicht mehr gegeben. Anton Mattle (Tirol), Wilfried Hauslauer (S), Thomas Stelzer (OÖ) und Christopher Drexler (Steiermark) sind auf Distanz gegangen. Weder zu Normalität noch zu Bargeld wollten sie etwas beisteuern, Mattle lehnt Türkis-Blau/Blau-Türkis als Koalitionsvariante ab.

Hier hat man allzu billigen Rechtspopulismus offenbar satt und sehnt sich wieder zurück nach einer Mitte sowie – in Ermangelung anderer Option – einer Zusammenarbeit mit der SPÖ. Und hier hat man ein Problem damit, wenn in der Bundespartei „Alles Niederösterreich“ angesagt ist. Das entwertet alles andere und schafft böses Blut.

Der Nehammer-ÖVP kann nicht egal sein, worin die eine Anklage gegen Kurz mündet und wie’s mit all den übrigen Affären (Inserate, …) weitergeht. Sie hat sich nicht umfassend von diesem emanzipiert. Sie versucht weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Sie ist bemüht, in seinem Sinne Wählerinnen und Wähler rechts der Mitte anzusprechen.

250.000 Ex-FPÖ-Wählerinnen und -Wähler hat Kurz allein bei der Nationalratswahl 2019 gewonnen für die ÖVP. Nehammer versucht sich nicht neue Zielgruppen zu erarbeiten, sondern die bestehenden zu halten. Auch in diesem Sinne ist die eingangs erwähnte Stocker-Aussendung zu lesen: Kurz ist demnach nichts Wesentliches vorzuwerfen, es gibt keinen Grund, enttäuscht zu sein und sich von der Volkspartei abzuwenden. Natürlich: Dabei, das zu tun, sind Umfragen zufolge viele. Für die ÖVP ist es jedoch überlebenswichtig, das einzudämmen.

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