Koalitionäre Bruchstelle

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ANALYSE. Bei der Schengen-Erweiterung geht es der ÖVP um kommende Landtagswahlen und eine Verlustbegrenzung. Das macht die Sache so bedrohlich für Türkis-Grün.

Das Thema Asyl und Migration, mit dem es die ÖVP unter Sebastian Kurz geschafft hat, aufzusteigen, ist wieder da; doch nicht nur Kurz ist weg, sondern auch die Fähigkeit der Volkspartei, es politisch auszuschlachten. Sie lässt sich nicht davon abhalten. Das macht die Sache nur noch schlimmer. Es führt dazu, dass Zelte auf- und abgebaut werden. Und dass es einen Kurs zur Erweiterung des Schengen-Raumes gibt, der unberechenbar ist: Am 18. November berichtete der „Kurier“, ÖVP-Innenminister Gerhard Karner sei gegen einen Beitritt von Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Fünf Tage später hieß es im Blatt, ÖVP-Kanzler Karl Nehammer wolle Kroatien sehr wohl im Schengen-Raum.

Bleiben Rumänien und Bulgarien übrig: ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler kündigt am 6. Dezember an, man könne nicht für die Erweiterung des Raumes um Rumänien und Bulgarien stimmen. Man könnte das auch so verstehen, dass sie nicht dagegen ist. Der Druck, sich einer solchen Erweiterung nicht in den Weg zu stellen, steigt jedenfalls von Stunde zu Stunde: Nachdem Schweden und die Niederlande ihren Widerstand aufgegeben haben, ist Österreich vor einem EU-Innenministertreffen am 8. Dezember das einzige Land, das bremst.

Und dann ist da noch der Koalitionspartner der ÖVP: Für die Grünen hat Vizekanzler Werner Kogler längst erklärt, wie er die Sache sieht. Nämlich so, dass der Eindruck entsteht, die Volkspartei halte hier nur ein innenpolitisch motiviertes Scheingefecht ab. „Österreich unterstützt bis heute offiziell, dass neben Kroatien auch Rumänien und Bulgarien dem Schengen-Raum beitreten sollen“, so Kogler im November in der „Tiroler Tageszeitung“. Übersetzt bedeutet das, dass die Grünen einer Abweichung davon zustimmen müssten. Was sie laut Kogler nicht tun werden.

Alles erledigt? Vielleicht für diesen einen Fall. Die Koalition kommt hier jedoch einer Bruchstelle nahe, die im Regierungsprogramm bereits vorgezeichnet ist: Sollten internationale Migrationsbewegungen nach Ansicht eines Partners Antworten erfordern, die der andere Partner beharrlich ablehnt, kann ersterer fremdgehen. Er kann im Nationalrat über einen Initiativantrag versuchen, sich in einem koalitionsfreien Raum eine Mehrheit zu beschaffen. Es ist klar, dass es dafür nur eine Variante gibt: Wenn es die ÖVP darauf anlegen möchte, kann sie die Grünen links liegen lassen und mit den Freiheitlichen gemeinsame Sache machen. Auch wenn das so vereinbart ist, kommt das dem Ende der Regierungszusammenarbeit gleich.

Die Volkspartei nähert sich dem Punkt, an dem sie findet, dass es notwendig ist, so weit zu gehen. Erstens: Sie hat bereits deutlich gemacht, dass sie mit dem Kurz-Thema Asyl und Migration versuchen möchte, weitere Stimmenverluste zu verhindern. Karl Nehammer hat im Übrigen Kurz-Mann Gerald Fleischmann zurück in die erste Reihe geholt. Bei den Grünen ahnt man, dass das auf einen Krach hinausläuft.

Zweitens: Mit Einmalzahlungen und anderen Anti-Teuerungsmaßnahmen gewinnt die ÖVP keinen Blumentopf. Also Asyl und Migration. Umso mehr, als sie glaubt, damit auch von vielem anderem, wie den Korruptionsaffären, ablenken zu können – und sie das gerade auch im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen nötig hat.

Ende Jänner wird in Niederösterreich, im März in Kärnten und im April in Salzburg gewählt. Das sind drei wichtige Wahlen für die ÖVP: In Niederösterreich und Salzburg sollten die Landeshauptleute nicht zu viel verlieren, in Kärnten sollte die Partei (als Kleinpartei) nicht zu viel an die Freiheitlichen abgeben müssen. Dazu braucht es auch bundespolitische Begleitmusik, die, wenn sie sich schon bei den ersten Takten vertut (Zelte, Schengen-Erweiterung), eher lauter und schriller werden muss, um darüber hinwegzutäuschen.

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