Kanzler muss sich neu erfinden

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ANALYSE. „Message“ und Wirklichkeit gehören zusammengeführt. Sonst wird sich die Coronakrise nicht nur für Sebastian Kurz noch weiter verschärfen.

Der politische Erfolg des Sebastian Kurz beruht auf ein paar herausragenden Fähigkeiten. Zum Beispiel: Erkennen, was die Leute wollen; entsprechendes unter Einsatz von „Message Control“ verständlich kommunizieren; Disziplin; sowie hochmotivierte und ebenso loyale Helferinnen und Helfer um sich scharen und auch halten.

Sebastian Kurz hat aber auch ein paar Eigenschaften, die all das gerade in der Krise mehr und mehr an Wert verlieren lassen. Er tut sich etwa schwer mit Kritik; stellt Wissenschaftler, die nicht sagen, was zu seiner „Message“ passt, schon einmal als falsche Experten dar; vernachlässigt Inhalte, die zur Umsetzung wohlklingender Ankündigungen nötig wären; und vor allem will er beliebt sein.

Das steht so sehr im Vordergrund, dass es nicht gut gehen kann. Schon vielfaches Scheitern im bisherigen Verlauf der Pandemie hätten eine Lehre sein können: Kurz kündige 15.000 Corona-Tests pro Tag an? Monatelang kam es nicht dazu. Kurz sagte, Österreich sei gut durch die Krise gekommen? Weder gesundheitlich noch wirtschaftlich kann man das mittlerweile sagen; im Gegenteil.

Ja, erstmals wird es sogar gefährlich für den Kanzler und ÖVP-Chef: Zunehmend wird die Message durch die Wirklichkeit derart konterkariert, dass es einfach nur noch lächerlich wäre, wenn es nicht um so viel Ernstes gehen würde. Beispiel: Kurz kündigte Massentests an? Drei Viertel pfiffen darauf. (Das nimmt diese Bürger nicht aus der Verantwortung, muss aber auch Kurz zu denken geben: Sein Wort wird kaum noch gehört.) Kurz vermittelt, nachdem er mit einem Pharmakonzern telefoniert habe, seien 900.000 Impfdosen bis Ende März fix? Erstens waren sie das schon vorher und zweitens wachsen zunehmend Zweifel daran, dass Österreich trotz eines viel größeren Bedarfs so wenige überhaupt verabreichen kann. In der ersten Woche hat man nicht mehr als „rund 6000“ zusammengebracht. Das löst da und dort Empörung und Wut aus.

Natürlich agiert Kurz nicht allein, tragen viele andere, von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bis zu dessen Corona-Sonderbeauftragtem Clemens Auer oder Vertretern in den Ländern, Mitverantwortung. Umso weniger aber dürfte Kurz dick auftragen bzw. müsste seine Aussagen den Gegebenheiten anpassen. Und: Umso weniger könnte er nur Verantwortung tragen, wo es ihm gefällt – vorgetäuschte bei der Beschaffung hunderttausender Impfdosen und gar keine, wenn es um die vielen Toten in den Pflegeheimen geht.

Das sind keine Voraussetzungen für eine gute Entwicklung in den nächsten Monaten und Jahren: Kurz wird sich in absehbarer Zeit bei einer Masse nicht mehr so einfach beliebt machen können wie in der Flüchtlingskrise oder zu Beginn der Pandemie. Grund: Unmittelbare Probleme vieler werden sich nicht mit schlichten Botschaften wie „Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen“ oder unmissverständlichen Aussagen wie „Zuhause blieben“ lösen lassen.

Zunächst einmal ist schwer abschätzbar, wie es mit der Pandemie weitergeht: Mutationen könnten neue Gefahren mit sich bringen, die zögerliche Impfkampagne lässt noch keinen „normalen“ Sommer erwarten. Da werden kaum gute Nachrichten, sondern allenfalls nur Ermunterungen in einer anhaltend schlechten Nachrichtenlage möglich sein.

Vor allem aber kommt eine harte Zeit nach der Pandemie: Wirtschaftsprognosen verheißen – auch im internationalen Vergleich – Alarmierendes für Österreich. Nicht nur, dass der gegenwärtige Einbruch groß ist, es ist auch so, dass die Wachstumsraten in weiterer Folge recht niedrig bleiben werden. Aller Voraussicht nach werden sie weder für einen zügigen Abbau der Arbeitslosigkeit ausreichen noch für eine automatische Sanierung des Budgets, wie Kurz bisher gehofft hat; frei nach der Devise, dass alles verkraftbar ist, wenn das BIP nur stark genug steigt. Das ist theoretisch richtig, in der Praxis aber nicht zu erwarten. Es wird vielmehr der Druck steigen, die staatliche Einnahmen-Ausgaben-Schere bestmöglich unter Kontrolle zu bringen. Und das wiederum ist alles andere als populär.

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