Fehl- statt Befreiungsschläge

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ANALYSE. Beim „Grünen Pass“ wird Österreich nicht Vor-, sondern allenfalls Mitreiter. Und mit der Schmid-Ablöse geht auch noch eine große Massenbeschimpfung einher, die alles nur skandalöser macht.

Es gehört wohl zu türkisen „Message Control“-Bemühungen, den Eindruck zu vermitteln, dass ÖBAG-Chef Thomas Schmid wegen gar nichts, aber mit einer Abfindung von 200.000 Euro gehe. Der handverlesene Aufsichtsrat behauptet jedenfalls, dass das Familienmitglied „ausgezeichnete inhaltliche Arbeit“ geleistet habe. Er distanziert sich zwar von den Chatnachrichten, Schmid-Übergangs-Nachfolgerin Christine Catasta lässt aber umgehend wissen, dass „jeder“ Mensch solche Nachrichten auf seinem Handy habe.

Sind wirklich alle so? Natürlich nicht. Es gibt mit Sicherheit Menschen, die einen wertschätzenden Umgang mit anderen pflegen und die daher auch nicht „Pöbel“ schreiben, wenn sie die Allgemeinheit meinen; oder „Tiere“, wenn es um Beamte geht; oder genussvoll berichten, dass ihr jüngster Gesprächspartner „zunächst rot, dann blass, dann zittrig“ gewesen sei, nachdem sie ihn angefahren hätten.

Im Übrigen gibt es da noch einen entscheidenden Punkt: Bei vielen von denen, auf deren Handy sich solche Nachrichten befinden mögen, handelt es sich um Menschen mit begrenzter Macht, also Verantwortung. Sie können zum Beispiel keinem Kirchenvertreter drohen, Steuerprivilegien zu streichen und dies allenfalls auch durchsetzen. Das macht einen Unterschied.

Worum es hier geht, ist jedoch dies: Diese Begleitmusik zum Rücktritt von Thomas Schmid hat aus einen Befreiungsschlag für die ÖVP von Sebastian Kurz einen weiteren Fehlschlag gemacht. Es ist alles eher noch schlimmer geworden. Mit ihren Unterstellungen hat Catasta rund 8,9 Millionen Menschen in Österreich beleidigt. Das muss man erst einmal schaffen.

Wenn’s nicht mehr läuft, dann läuft’s nicht mehr: Das wird in diesen Wochen immer wieder bestätigt. Kurz bemüht sich seit vergangenem August, als er ein Licht am Ende des Tunnels angekündigt hat, zunehmend verkrampft, die Krise zu überwinden, in der auch er steckt. Die Schmid-Ablöse wäre grundsätzlich gut und wichtig für ihn. Aber eben nicht so, wenn man nicht einmal in der Lage ist, zu sagen, der Mann muss gehen, weil er der Falsche für einen ganz wichtigen Job ist. Punkt.

Aus der Krise bringen sollen hätte Österreich auch der Impfturbo. Wobei sich der Kanzler gerne selbst in Szene setzte. Zu Ostern führte er Verhandlungen über den russischen Impfstoff Sputnik V, ließ Journalisten zu sich kommen, um zuerst mitzuteilen, dass die Verhandlungen „in den letzten Zügen“ seien und dann, dass sie „de facto am Ende angelangt“ seien. Es gehe um eine Million Dosen.

Bis heute ist nichts passiert – und aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung kann man entnehmen, dass auch nichts mehr passieren wird: Das sei nicht Gegenstand seines Vollzugsbreichs, behauptet Kurz neuerdings. Er sehe sich nicht mehr für Sputnik zuständig, schreibt die „Kleine Zeitung“ dazu. Aber zugeben, dass die Mission gescheitert ist? Woher.

Heftiger noch die Sache mit dem „Grünen Pass“. Ende April stand auf ORF.AT folgende Meldung: „Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ging heute bei einer Pressekonferenz davon aus, dass der „Grüne Pass“ zwar europaweit einheitlich kommen wird, sicher aber nicht zeitgerecht zu den angepeilten Öffnungsschritten. Man wolle daher „Vorreiter“ sein.“

Aus dem Vorreiter wird nun allenfalls ein Mitreiter: Der Grüne Pass verzögert sich bekanntlich, er kommt Ende dieser Woche, aber vorerst nicht für Geimpfte. Das ist eine österreichische Lösung.

Die Einführung wird also gewissermaßen „nur“ im gesamteuropäischen Gleichschritt erfolgen. Das ist nicht allein die Schuld des Kanzlers: Er aber hat nicht nur ambitioniertere Ziele vorgegeben, sondern ebendies auch noch so vollmundig verkündet. Motto: Wir sind schneller, wir sind besser, wir können und müssen nicht auf die EU warten. Umso mehr fällt ihm das nun allein auf den Kopf.

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