Ad. Demokratiemüdigkeit: Wen wundert’s?

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ANALYSE. Wer Volksbegehren ignoriert oder vermittelt, das Parlament habe eine Regierung gestürzt, schafft sich eine Wählerschaft, die über das System zunehmend frustriert ist.

Besonders für FPÖ, aber auch ÖVP-Wähler steht laut SORA-Wahltagsbefragung nicht mehr zweifelsfrei fest, dass Demokratie die beste Regierungsform ist. Im Gegenteil, die Anteile sind seit 2013 von Nationalratswahl zu Nationalratswahl zurückgegangen. Bei der FPÖ von 72 auf zuletzt 27 und bei der ÖVP von 85 auf 65 Prozent. Zum Vergleich: Bei den SPÖ-Wählern handelte es sich um 80, 83 und dann wieder 80 Prozent. dieSubstanz.at hat das in Zahlen zum Tag präsentiert – und das macht seither in sozialen Medien die Runde.

Daher mehr dazu: Was sagen diese Werte aus, wie kann es dazu kommen? Zunächst muss klargestellt werden, dass jemand, der zweifelt, ob Demokratie die beste Regierungsform ist, damit nicht auch schon für ihre Abschaffung oder gar die Einführung einer Diktatur ist. Das zu unterstellen, wäre schwachsinnig. Es bringt eher zum Ausdruck, dass man mit der Demokratie so, wie sie läuft, nicht zufrieden ist.

Insofern verwundern die Werte nicht: Die FPÖ sagt seit Jahren ganz offen, dass sie diese Demokratie umbauen möchte. Das heißt, dass sie aus ihrer Sicht nicht die beste ist. Umbauen heißt für sie im Übrigen, mehr direkte Demokratie zu schaffen. Doch das ist wiederum mit einem gewissen Glaubwürdigkeitsproblem verbunden: Die rund 900.000 Unterschriften des Don’t Smoke-Volksbegehrens haben Heinz-Christian Strache und Co. vor einem Jahr nicht einmal ignoriert. Sprich: Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu vermitteln, dass sie das ernst nehmen und ihre Haltung daher besser argumentieren könnten.

Oder: Wer wirklich Anhänger einer direkten Demokratie ist, tritt dem, was „von unten“ kommt, zumindest mit einem gewissen Respekt gegenüber. Soll heißen: Man muss die Ansichten und Forderungen von Greta Thunberg nicht teilen; wer ihr aber, wie Norbert Hofer, unterstellt, eine „Zöpferldiktatur“ errichten zu wollen, verrät sich endgültig. Ihm geht es bei direkter Demokratie ausschließlich darum: Das Volk entscheiden zu lassen, was er ganz gerne entschieden haben möchte. Da läuft alles von oben nach unten und nichts von unten nach oben.

Bei der ÖVP ist das etwas, aber nicht viel anders: In einem demokratischen System ist es auch wichtig, dass Parteien demokratisch organisiert sind. Bei der neuen Volkspartei gibt es ein gewisses Spannungsverhältnis dazu: Landes- und Bündeobleute haben Sebastian Kurz extrem weitreichende Zugeständnisse gemacht, er darf oder dürfte Listen, Inhalte und Koalitionspartner allein bestimmen. Da ist es mit parteiinterner Demokratie, geschweige denn einer Bewegung, nicht mehr weit her.

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Und überhaupt: Die ÖVP ist nach Ibiza dazu übergegangen, eine eigene Demokratie zu definieren. Zum Ausdruck gekommen ist das im vielzitierten Satz zum Misstrauensvotum gegen das Kabinett Kurz vor dem Sommer: „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden.“ Das kann man nicht oft genug wiederholen: In Wahrheit hat das vom Volk gewählte Parlament die Regierung abgewählt, die ihm gegenüber verantwortlich ist. Und nicht eine Regierung, die es gewählt hat. Das war ein Vorgang, der der Schönheit und der Eleganz der Verfassung entsprochen hat. Und den man selbstverständlich kritisieren kann. Deswegen aber zu unterstellen, dass es eine Art Putsch gegeben habe, geht zu weit – und es muss in der eigenen Anhängerschaft natürlich dazu führen, dass ein Frust über die bestehende Demokratie aufkommt.

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