Zurück zu Kurz

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ANALYSE. Der Bundeskanzler hielt keine Rede zur Zukunft zur Nation. Er hat ausschließlich um FPÖ-WählerInnen geworben.

Wenn man MittelschülerInnen die Aufgabe stellen würde, eine Rede zur Zukunft der Nation zu schreiben, würden sich die meisten unter Garantie folgenden Aspekten widmen: Europa im Lichte des Ukraine-Krieges sowie Perspektiven für die Neutralität; Klimakrise und Änderungsbedarf im Verkehr und in anderen Bereichen; Arbeitskräftemangel und die damit einhergehenden Notwendigkeiten, Zuwanderungspolitik neu aufzustellen sowie das Pensionsalter zu erhöhen; Möglichkeiten, eine anhaltend hohe Teuerung, vor allem aber auch Folgen davon treffsicher zu bekämpfen und gesellschaftliche Verwerfungen zu verhindern; Wege, gegen Korruption vorzugehen und Demokratie zu stärken etc.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hielt am vergangenen Freitag bekanntlich eine Rede zur Zukunft der Nation und behandelte keines dieser Themen (sofern überhaupt) zukunftsorientiert. Im Gegenteil: Man könnte darüber streiten, ob er sich eher an Texten von Sebastian Kurz (ÖVP) oder eher an solchen von Herbert Kickl (FPÖ) orientierte. Das ist kein Zufall: Brüssel-Bashing, Agitation gegen Migranten, Verharmlosung des Klimawandels, Interessensvertretung für Autofahrer, Reformverweigerung bei Pensionen sowie Eine-heile-Welt-mit-Neutralität-und-in-Selbstgefälligkeit-vorgeben, das sind grundsätzliche Bestandteile freiheitlicher Politik.

2016 war die FPÖ unter Heinz-Christian Strache in Umfragen ähnlich weit vorne, wie sie es heute unter Kickl ist. Unterschied: Damals kam Kurz, kopierte sie und war erfolgreicher. Vor allem in Folge von Ibiza bei der Nationalratswahl 2019: 15 Prozent der ÖVP-Wählerinnen kamen damals von der FPÖ. Jetzt dreht sich der Spieß um: Bei der nö. Landtagswahl wanderten 16 Prozent der (ehemaligen) ÖVP-Wählerinnen zur FPÖ ab.

Die Gegenreaktion läuft: Die Volkspartei, die nicht mehr als die neue bezeichnet werden möchte, geht wie einst Kurz dazu über, freiheitliche Politik zu kopieren. Und: Wo sich die Gelegenheit bietet, irritiert sie diese Leute nicht mehr mit irgendeiner Koalitionsvariante, sondern sucht wieder die Zusammenarbeit mit der FPÖ.

In Niederösterreich zum Beispiel. Nur so hat Mikl-Leitner eine Chance, die verlorenen WählerInnen zurückzugewinnen. Mit einer SPÖ unter einem ambitionierten Neo-Vorsitzenden (Sven Hergovich) würde das nicht gehen. Natürlich: Einerseits hat er es ihr einfach gemacht, Verhandlungen abzubrechen, nachdem er meinte, er würde sich die Hand abhacken, wenn seine fünf Minimalforderungen nicht umgesetzt werden. Andererseits aber brach sie die Verhandlungen unter anderem auch mit dem schwachen Argument ab, dass sie sich mit der FPÖ einig sei, dass es keine neuen Steuern geben werde. Das ist lächerlich. Länder und Steuerhoheit ist wie China und Demokratie; es gibt de facto keine.

In St. Pölten kommt also Türkis-Blau und auf Bundesebene richtet Nehammer die ÖVP für die Zeit nach der Nationalratswahl ebenfalls darauf aus. Was soll er auch sonst tun? Er konnte die Partei nach dem Kurz-Abgang nicht neu ausrichten. Nicht nur, weil er aufgrund multipler Krisen eingespannt war, sondern auch, weil ihm die Vorstellungskraft fehlt, die dazu nötig wäre.

Jetzt macht er das, was auch Kurz an seiner Stelle getan hätte: Im vergangenen Herbst hat dieser bedauert, die Koalition mit der FPÖ beendet zu haben: „Es ist viel inhaltlich weitergegangen, wir haben eigentlich sehr gut zusammengearbeitet, und da habe ich mich oft gefragt, ob das eine richtige Entscheidung war“, meint er laut ORF Wien. Das bedeutet umgekehrt, dass die Koalition mit den Grünen aus seiner Sicht ein Fehler war. Zustande gekommen ist sie im Übermut nach dem Triumph bei der Wahl 2019 und dem Glauben, dass „Das Beste aus beiden Welten“ schon irgendwie funktionieren werde. Für Kurz führte es eher zu seinem politischen Ende: Die Grünen haben durchgesetzt, dass er gehen muss. Und sie sind nach dieser Lesart auch schuld daran, dass die ÖVP in weiterer Folge abgestürzt ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

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