ANALYSE. Die Kampfabstimmung, bei der sich Kreisky einst durchgesetzt hat, ist kein Vorbild für eine Entscheidung zwischen Rendi-Wagner und Doskozil.
Spätestens seit der ehemalige Sprecher von Bruno Kreisky, Johannes Kunz, in einem „Kommentar der anderen“ in der Tageszeitung Der Standard, einen Befreiungsschlag für die Sozialdemokratie gefordert und damit eine Kampfabstimmung zwischen der Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und ihrem Herausforderer Hans Peter Doskozil gemeint hat, wird gerne daran erinnert, dass Kreisky 1967 auch aus einer solchen hervorgegangen sei. Was so viel heißen soll wie: Eine solche Abstimmung ist nichts Verwerfliches; sie kann sogar zu einer großen Zukunft führen.
Allein: Geschichte wiederholt sich nicht. Selbst wenn sich nun Rendi-Wagner oder Doskozil mit 69,8 Prozent ebenso klar durchsetzen würden, wie es Kreisky gegen Hans Czettel tat, wäre sehr wahrscheinlich nichts gewonnen.
Kreisky hatte einen Plan; er hatte Wahlerfolge und setzte ihn zunächst mit Hilfe der Freiheitlichen (Duldung einer Minderheitsregierung) sowie in weiterer Folge allein um (auf Basis einer absoluten Mehrheit).
Heute muss man davon ausgehen, dass nach einer Kampfabstimmung eher noch größere parteiinterne Konflikte drohen würden, jedenfalls aber keine kleineren. Rendi-Wagner hat sich 2020 nicht einmal durch eine Mitgliederbefragung außer Streit stellen können. Doskozil arbeitete weiter gegen sie. Würde sich nun Doskozil durchsetzen, würde eine Zerreißprobe drohen; eine Abspaltung Linker wäre nicht ausgeschlossen, die Wiener Landesorganisation und Gewerkschafter würden zumindest kaum für ihn rennen.
Selbst wenn eine Kampfabstimmung im Sinne von Kunz zu einem Befreiungsschlag werden würde, würde ein viel größeres und sehr grundsätzliches Dilemma bleiben: Es gibt eine klare Mehrheit rechts der Mitte. Die SPÖ ist sehr weit von einer Regierungsbeteiligung im Allgemeinen und einer Ampelkoalition im Besonderen entfernt, die es ihr am ehesten ermöglichen würde, einen Teil ihrer Vorstellungen umzusetzen. Anders als vor 50 Jahren würde ein Arrangement mit einer Kleinpartei schon gar nicht ausreichen, um auch nur eine Minderheitsregierung bilden zu können.
Vor einem Jahr schien sich ein Zeitfenster für Rot-Pink-Grün aufzutun. Rendi-Wagner hat nicht darauf gesetzt. Aus heutiger Sicht war das ein schweres Versäumnis. Das Fenster hat sich längst wieder geschlossen. Es ist, um bei diesem Bild zu bleiben, fest verriegelt.
Wenn die SPÖ einen Befreiungsschlag setzen möchte, bräuchte sie eine dritte Person, also weder Rendi-Wagner noch Doskozil an der Spitze. Eine Person, die zwischen den AnhängerInnen der beiden ausgleichend wirken kann und die das Zeug dazu hat, selbstbewusst ein Programm aufzustellen, das eine relative Mehrheit überzeugt, sodass die Partei auf Platz eins kommen kann; und die zweitens auch die Aussicht auf eine Koalitionsvariante schaffen kann, die so viel wie möglich davon realisieren kann.
Wobei FPÖ und ÖVP, wie sie heute ausgerichtet sind, kaum dafür in Frage kommen können. Was die gegenwärtige Lage der SPÖ andererseits aber nur verdeutlicht. Ohne Ampel geht wenig bis nichts für sie.