ANALYSE. Warum FPÖ, Grüne und Neos, aber auch Impfgegner längerfristig eher im Aufwind sind als ÖVP und SPÖ.
Zu behaupten, dass die ÖVP auf Bundesebene vor dem Nichts stehe, ist nur unwesentlich übertrieben: Die Volkspartei hat erheblichen Handlungsbedarf. Sofern sie nicht weiterhin auf Sebastian Kurz setzen möchte, müsste sie sich neu aufstellen, personell wie inhaltlich. Ohne Kurz ist sie, die ganz auf ihn ausgerichtet ist, wenig bis nichts. Der SPÖ geht’s kaum besser. Wie hier ausgeführt, kann sie weder von blauen noch von türkisen Abstürzen profitieren. Das tun andere. Aus erklärbaren Gründen.
Meinungsumfragen, die gewissen Qualitätskriterien gerecht werden, zeigen für Freiheitliche und Grüne einen steigenden Trend (laut ATV-APA-Österreich-Trend halten sie 20 bzw. 16 Prozent) sowie für Neos und die Impfgegnerliste MFG (mit zwölf und vier Prozent) bemerkenswert hohe Werte; MFG könnte damit den Einzug in den Nationalrat schaffen.
Bei der FPÖ ist die Sache klar: Sebastian Kurz hat ihr in den vergangenen Jahren zu schaffen gemacht, indem er Positionen übernommen und wirkungsvoller vertreten hat. Von wegen „Schließung der Balkanroute“ oder Stopp der „Zuwanderung ins Sozialsystem“. Schon in Folge der Krise von Kurz fällt der FPÖ einiges davon wieder zurück, ist sie wieder eher Anlaufstelle für Wählerinnen und Wähler, die derlei hören wollen. Und noch viel mehr: Wahrscheinlich ist, dass eine „Anti-System-Partei“, als die sich die FPÖ gerne ausgibt, jetzt erst recht gefragt ist, nachdem Sebastian Kurz so viele Erwartungen enttäuscht hat.
Das leitet über zu MFG: Gerade weil sich die Pandemie „nur“ zu einer Endemie weiterentwickelt, Impfen also ein Thema bleiben wird, darf sich diese Bewegung Hoffnungen machen. Sofern die Politik weiterhin glaubt, Österreicherinnen und Österreicher selbst auffordern zu müssen, sich impfen zu lassen (wie es Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, Grüne, jetzt etwa beim Tennisspieler Dominic Thiem getan hat). Alles spricht dafür, dass sie dabei bleibt, nichts deutet auf Lernbereitschaft hin. Problem: Ihr Vertrauen ist im Keller. Beim Impfen geht es aber um etwas sehr Persönliches. Bei sehr vielen Menschen lösen gerade ihre Aufrufe eher nur eine noch größere Verhärtung aus. Sehr zur Freude von MFG. (Besser wäre es, viel stärker auf Expertinnen und Experten bis hin zu Hausärztinnen und Hausärzte zu setzen.)
Die Grünen sind ein Phänomen: Als noch dazu neuer „Juniorpartner“ in einer Regierung bilden sie insofern eine Ausnahme, als sie in der Wählergunst nicht eingebrochen sind. Im Gegenteil: Sie haben sich gehalten und befinden sie nun sogar in einem leichten Aufwind. These: Auch wenn sie in den vergangenen Monaten immer wieder Dinge mitgetragen haben, die sehr viele Anhänger enttäuscht haben, wird ihnen noch immer abgekauft, dass sie für Humanität, Korruptionsbekämpfung und vor allem das Zukunftsthema Klimaschutz stehen.
Das leitet über auch zu den Neos. Es gibt ein paar Gegenwarts- und Zukunftsthemen, die von ÖVP, FPÖ und SPÖ im Unterschied zu ihnen ignoriert oder zumindest vernachlässigt werden. In den vergangenen Jahren hat sich in Österreich eine Bildungsrevolution abgespielt. Zumindest nach formalen Kriterien ist der Anteil der Menschen mit einem höheren Abschluss stark gestiegen. Das verändert auch Rollenbilder und den Zugang zu Europa und der Welt darüber hinaus; bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung ist nicht Kleinstaaterei, sondern Offenheit gefragt. Das trägt Pinke wie Grüne.
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