Weder schwarz noch türkis

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ANALYSE. Karas-Abschied und Kurz-Prozess unterstreichen indirekt, was die ÖVP heute ist.

Fast noch bemerkenswerter als die Abrechnung, die Othmar Karas vergangene Woche mit seiner Partei vorgenommen hat, ist, was folgte: Nichts. Beziehungsweise fast nichts. Ausgerechnet der Geschäftsführer seiner Landesorganisation, der niederösterreichischen, ließ in einer Aussendung einen Halbstarken-Kommentar ab: Wenn Karas erkläre, die ÖVP sei aus seinem Blickwinkel nicht die Partei der Mitte, „dann ist dies, wenn man sich all seine Positionierungen der letzten Jahre ansieht, die größtmögliche Bestätigung, dass wir es sind“, so Matthias Zauner. Haha!

Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, einer der letzten Bürgerlichen in Österreich, die noch für Europa brennen und der das auch seit Jahren unter Beweis stellt, wird in seiner eigenen Partei allenfalls verhöhnt. Karl Nehammer, der Obmann und Bundeskanzler, habe ihn bis vor wenigen Tagen noch nie kontaktiert, berichtet Karas in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“. Das lässt nur einen Schluss zu: Die ehemalige Europapartei will keine Europapolitik machen. Sie ist lediglich daran interessiert, über Europa herzuziehen; indem sie zum Beispiel in regelmäßigen Abständen erklärt, dass das Asylsystem der EU kaputt sei. Das ist alles zusammen die größtmögliche Bestätigung für Karas.

Othmar Karas steht für eine schwarze ÖVP, die es heute kaum noch gibt. Wenn noch eine solche existieren würde, hätten spätestens seine nunmehrigen Aussagen zu Debatten geführt. Etwa jene, dass es ihm „unheimlich auf die Nerven“ gehe, als Linker bezeichnet zu werden, weil er „dafür einstehe, dass Männer, Frauen und Kinder nicht im Mittelmeer ertrinken“; weil er der Überzeugung sei, dass sichere Grenzen und sichere Fluchtwege möglich sind.

Oder wenn er sich gegen Scheindebatten wie jene über die Verankerung von Bargeld in der Verfassung ausspricht; oder wenn er meint, dass sich die ÖVP an den Rändern anbiedere, um diese zu kopieren; dass sie nicht mehr die Kraft der Mitte sei, die sie sein sollte.

Wenn sich der Vizebürgermeister von Hintertupfing so äußert und ignoriert wird, ist das vielleicht normal. Aber bei Karas? Man kann finden, dass er ein aus der Zeit gefallener Politiker ist, neben EU-Kommissar Johannes Hahn ist er aber der mit Abstand bedeutendste Österreicher in Brüssel. Und das, was er von sich gibt, muss man nicht teilen, hat aber Hand und Fuß.

Das wirklich Schlimme für die ÖVP ist, dass sie nicht mehr schwarz im Sinne eines Alois Mock oder ihrer christdemokratischen Geschichte ist, und dass das Gegenmodell, das sie selbst entwickelt hat und betreibt, nicht mehr läuft. Gemeint ist die türkise Hemmungslosigkeit, einfach nur irgendeine Politik zu machen, die gefallen könnte.

Das wird dieser Tage in Erinnerung gerufen, da der Prozess gegen Sebastian Kurz wegen Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss startet. Spekulationen, dass er zurückkehren könnte, falls er freigesprochen wird, wollen nicht abreißen. Es ist, als könnten einige Medien nur noch damit Klicks machen, wenn sie über österreichische Politik berichten.

Ein bisschen hat es natürlich auch damit zu tun, dass sich Kurz selbst mit größter Lust im Spiel hält (es ist wirklich ein Spiel für ihn). Vor allem aber ist es schon auch darauf zurückzuführen, dass Nachfolger Karl Nehammer auslässt. Er bemüht sich, türkisen Populismus weiterzutreiben, durchkreuzt sich das dann aber immer wieder selbst. Siehe einerseits die „Glaub an Österreich“-Kampagne und andererseits das „Hamburger-Video“. Da meinen nicht wenige, dass man mit Kurz zwar keinen Wahltriumph mehr erzielen würde, aber halt doch nicht ganz so katastrophal liegen würde in den Umfragen. Und dass man auf ihn zurückgreifen müsste, weil man sonst niemanden hat, der einem da helfen könnte.

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