Was Ludwig alles zu verlieren droht

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ANALYSE. Der Wiener SPÖ-Vorsitzende hat es nicht nur verabsäumt, eine bundesländerübergreifende Allianz für Rendi-Wagner und gegen Doskozil zu bilden, sondern sich auch um eine Neuausrichtung der Partei zu kümmern. Das könnte sich rächen.

Vor rund zwei Jahren machte in sozialdemokratischen Kreisen ein Text die Runde, in dem die Machtverhältnisse in der Partei skizziert wurden. Der Autor blieb unbekannt, war da und dort jedoch am Punkt. So stellte er sinngemäß fest, dass der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig quasi übermächtig sei. Zur Erinnerung: Es war die Zeit, in der Sebastian Kurz noch eine lange Kanzlerschaft vorhergesagt wurde; in der dessen ÖVP zwar nicht mehr über 40 Prozent lag, wie zu Beginn der Pandemie, aber noch immer im Bereich ihres Nationalratswahlergebnisses (37,5 Prozent). Und es war die Zeit, in der sich Ludwig bundesweit mehr und mehr als konsequenter Krisenmanager hervortat, in der ihm über die SPÖ hinaus Respekt gezollt wurde. Es schien naheliegend zu sein, dass nur er eine Chance hat, als sozialdemokratischer Kanzlerkandidat ernstgenommen zu werden.

Einerseits, so der unbekannte Autor, hätte er in der Partei schalten und walten können, wie er will. Andererseits aber hätte ihm genau das auch gefährlich werden können: Wer mächtig ist, hat nicht nur Freunde, sondern auch Gegner. Zumal sich vermeintlich Schwächere zum Beispiel zusammentun könnten, um so wenigstens ein bisschen Gewicht auf die Waage zu bringen. Konkret gemeint sind hier Landesparteiorganisationen.

Gerade der Wiener SPÖ-Vorsitzende weiß das. Nicht Ludwig, sondern seinem Vorgänger Michael Häupl ist es 2016 zum Verhängnis geworden: Häupl hätte gerne auch nach den Protesten gegen den damaligen Kanzler und Bundesparteichef Werner Faymann bei der Maikundgebung auf dem Rathausplatz an diesem festgehalten. Faymann wäre wohl auch geblieben, wenn sich nicht fünf Landesparteivorsitzende gegen ihn verbündet hätten (nämliche jene aus Kärnten, Salzburg, der Steiermark, Niederösterreich und Vorarlberg). Damit wurde Faymanns Zeit in der Politik finalisiert, sprang die Ampel für Nachfolger Christian Kern zumindest auf gelb.

In Verbindung mit dieser Erfahrung sowie der Tatsache, dass er eine Ablöse von Pamela Rendi-Wagner durch Hans Peter Doskozil um jeden Preis verhindern möchte, hätte Michael Ludwig ein bundesländerübergreifendes Bündnisse schmieden müssen. Er hat es nicht getan, hatte zuletzt ausschließlich Vorarlberg auf seiner Seite. Das hat es Doskozil erleichtert, dafür zu sorgen, dass es zu keiner Mitgliederbefragung über ihn und Babler, sondern nur zu einer Kampfabstimmung auf dem Parteitag kommt, wo er sich bessere Chancen ausrechnet, sich durchzusetzen.

Das ist das eine. Das andere: Wie Häupl bei Faymann hat sich Ludwig bei Rendi-Wagner darauf beschränkt, zu signalisieren, dass sie bleiben muss. „Weil sie ist.“ Das war genauso wenig überzeugend wie ähnliche Botschaften ehemaliger Bundeskanzler sowie von Altbundespräsident Heinz Fischer. Zumal keine Perspektive damit einherging. Keine inhaltliche und personelle Neuausrichtung mit einer realistischen Aussicht für die SPÖ, ins Kanzleramt zurückzukehren.

Schlimmer: Der Höhenflug der FPÖ von Herbert Kickl beruht nicht so sehr auf einem gesellschaftlichen Rechtsruck. Er beruht auf sozialen Absturzerfahrungen und -ängsten eines Teiles der bisherigen Mittelschicht und darauf, dass Kickl diesen Leuten einredet, sie seien Eliten egal. Daran knüpfen rechte Akzente, wie eine Abkehr von Europa und die Bildung einer Festung Österreich, an. Es vermittelt, dass man sich „wieder“ eine sogenannte Insel der Seligen schaffen könnte – wie in der vermeintlich „guten, alten Zeit“. Was naturgemäß eine Lüge ist.

Im Unterschied zu Rendi-Wagner, aber auch Ludwig und vielen anderen Genossen, ist es zum Beispiel Kay-Michael Dankl in Salzburg gelungen, Leute anzusprechen, die die soziale Krise spüren oder sehen. Was zeigt, dass man nicht nur mit rechten Ansagen punkten kann. Im Gegenteil: In Städten, in denen die Sozialdemokratie wegbricht, gibt es schier unendliches Potenzial für Linke. Siehe Graz. Oder bald womöglich auch Salzburg-Stadt, wo Dankl beste Chancen auf kommunaler Ebene attestiert werden.

Insofern wäre es für Ludwig nun auch im eigenen Interesse gewesen, nicht nur Rendi-Wagner zu halten und Doskozil zu verhindern, sondern sich vielmehr um die Ausrichtung der Partei zu kümmern. Gerade „sein“ Wien ist das Zentrum der Sozialdemokratie, muss aber kein solches bleiben, wenn sie sich nicht weiterentwickelt. 2015 sind ihr Freiheitliche bei der Gemeinderatswahl mit 30,8 Prozent schon einmal bemerkenswert nahe gekommen. Ab 2017 zählte es zu den großen Zielen von Türkis-Blau unter Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, zu einem blauen Bürgermeister in der Bundeshauptstadt zu kommen. Das wirkte nicht ganz unrealistisch – beides waren Alarmsignale für die SPÖ.

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