Was der ÖVP wirklich wehtut

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ANALYSE. Über die Koalitionsfrage will Sebastian Kurz nicht reden. Aus nachvollziehbaren Gründen. Es ist jedoch nötig.

Auf seiner Wahlkampftour durch die Länder verbreitete ÖVP-Chef Sebastian Kurz vor allem auch diese Botschaft: „Medial dominiert die Frage, wer mit wem nach der Wahl koaliert. Aber das ist nicht die entscheidende Frage“, so der 33-Jährige zum Beispiel in Bregenz. Wobei bemerkenswert ist, dass dies ebendort auch von seinen Vorrednern betont wurde. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) „appelliert an die Gäste, nicht über Koalitionen zu spekulieren“, hielten die „Vorarlberger Nachrichten“ in einer lesenswerten Reportage fest.

Klar: Am liebsten wäre Kurz, die Wähler würden einfach nur ihn wählen. Das würde ihm sehr wahrscheinlich den größtmöglichen Wahlerfolg bescheren; in der Kanzlerfrage liegt er jedenfalls weit, weit vor seinen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern. Alles andere ist Ballast: Dass mit Kurz auch die alte ÖVP verbunden ist, lässt sich durch den türkisen Anstrich nur bedingt kaschieren. Und dass die ÖVP längerfristig nicht ohne Koalitionspartner regieren kann, ist überhaupt zu logisch.

Aber die ÖVP versucht es. Anfangs, nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos, hat sie das aus einer Erwartungshaltung heraus getan, dass sie de facto zu einer absoluten Mehrheit kommen wird, alle übrigen Parteien also allenfalls nur zuschauen dürfen.

Stand heute wird die ÖVP zwar gestärkt und noch viel bestimmender werden, die Koalitionsfrage drängt sich aber immer mehr auf. Allein schon, weil sich auch in bürgerlichen Kreisen die Überzeugung breit macht, dass es mit dieser FPÖ ganz einfach nicht geht; da bekommt man zum Beispiel eine Frau Stenzel mitgeliefert und x weitere Einzelfälle noch extra dazu.

Die Sebastian-Kurz-ÖVP kann die Option FPÖ jedoch nicht ausschließen. Das Dumme für sie ist nämlich, dass sie dann potenzielle Wähler verschrecken würde, die sie nicht zuletzt durch „österreichische Identitätspflege“ gewinnen möchte. Also gibt es wirklich nur eine Möglichkeit für sie: Nicht reden über die Koalitionsfrage!

Genauso verhält es sich aus ihrer Sicht mit der SPÖ, aber auch den kleineren Parteien: Schwarz-Rot ist von Kurz selbst zu oft abgeschrieben worden (wegen „Stillstand“ und so). Die Grünen wären eine Kampfansage an die rechten Wähler in den schwarzen Reihen und die Neos wollen gar noch Kammern den Kampf ansagen und Pensionen reformieren; das passt nicht zur Wohlfühlpolitik, die Kurz zumindest österreichischen Staatsbürgern angedeihen lassen möchte.

Sämtliche Koalitionsvarianten eint im Übrigen dies: Euphorie löst keine aus. Am ehesten ist das laut jüngster Umfrage der Tageszeitung „Der Standard“ zwar bei Schwarz-Blau der Fall. Aber auch diese Variante würden nur 15 Prozent „sehr gut“ finden (und 41 Prozent „gar nicht gut“).

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Über die Koalitionsfrage muss jedoch geredet werden. Auch wenn’s der ÖVP nicht gefällt: Jede Reform, jede Veränderung bedarf zumindest einer parlamentarischen Mehrheit. Und ihre Richtung ist vor diesem Hintergrund eben immer auch davon abhängig, wer diese Mehrheit bildet. Schwarz-grüne Migrationspolitik würde zum Beispiel anders ausschauen als schwarz-blaue. Und das ist ein entscheidender Unterschied – auch für die Wähler.

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