Warum sich Mikl-Leitner radikalisiert

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ANALYSE. Die nö. ÖVP versucht mit ihrer Chefin, als normal darzustellen, was Kickl entspricht. So soll kein Platz mehr für ihn bleiben.

Die Chefin der niederösterreichischen Volkspartei, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, hat einen neuen Kampfbegriff entdeckt: „Hausverstand“. In einem Gastkommentar im „Standard“ schreibt sie die Sätze: „Ja, der Hausverstand scheint manchmal abgeschafft. Der gesunde Menschenverstand stört wie langweiliger Sand das gut geölte Empörungsgetriebe der politischen Ränder. Und die normal denkende Mehrheit der Mitte fühlt sich immer weniger gehört.“

Da steckt so viel drinnen.

Zunächst wirkt fast noch unterhaltsam, dass es Mikl-Leitner in dem Text vor allem darum geht, sich darüber zu empören, dass es eine Empörung über Gender-Regeln im Land gebe. Dazu existiere schon seit Jahren ein Leitfaden, erklärt sie: „Daher noch einmal zur Frage „Was ist passiert?“ – Nichts. So weit zu den Fakten. Für die normal denkende Mitte der Gesellschaft hat eine derartige Frage keine Priorität.“

In Wirklichkeit hat Mikl-Leitner gerade erst ein Regierungsprogramm unterzeichnet, das vom Umfang her dünn ist und sich trotzdem dem Gendern widmet. Das sagt sehr viel aus über die Priorität. Will sie darüber hinwegtäuschen? Ja. Zum Motiv weiter untern in diesem Text.

Das Gerede von „Normalität“ und „Hausverstand“ ist einerseits eine Provokation. Es ist etwas, was zutiefst antidemokratisch ist. Es vermittelt, dass sich Mikl-Leitner einen gesichts- wie sprachlosen Bürger erwartet, der einfach nur schweigt und kuscht.

Einer liberalen Demokratie würde es entsprechen, gerade nicht Dinge wie „Hausverstand“ und „Normalität“ zu propagieren, sondern – im Rahmen eines Verfassungsbogens – Widerspruch und Anderssein. Für Mikl-Leitner ist derlei jedoch krank. Sonst würde sie nicht von einem „gesunden Menschenverstand“ sprechen.

Ihr Ziel ist es, eine Masse anzusprechen, die von Abstiegsängsten oder -vorstellungen geplagt wird. Die in sterbenden Regionen lebt und Migration als Bedrohung betrachtet. Die Klimakrisen dadurch zu verdrängen sucht, dass sie sich gegen Klimakleber wendet. Die das Gefühl hat, von „Eliten“ hängengelassen zu werden und die sich nach einer vermeintlich guten Vergangenheit sehnt. Bei diesen Leuten hat bisher eher nur die FPÖ von Herbert Kickl gepunktet. Jetzt bemüht sich Mikl-Leitner darum. Mit der Formulierung, dass sich „die normal denkende Mehrheit der Mitte immer weniger gehört“ fühle, nimmt sie diesbezüglich eine deutliche Adressierung vor.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau tut mir ihrer Partei so, als befinde sie sich in der Mitte, begibt sich jedoch in die Extremposition eines Randes, den sie vorgibt, abzulehnen. „Normalität“ steht dafür, dass Mikl-Leitner rechts von sich und der ÖVP keinen Platz mehr lassen möchte. Kickl, Udo Landbauer und Co. mögen untergehen.

Dazu werden gleich auch deren Methoden übernommen. Man kennt das ja schon von Sebastian Kurz, Mikl-Leitners einstigem Schüler. Wobei: Sie geht darüber hinaus. In einer Presseaussendung greift Landespartei-Geschäftsführer Bernhard Ebner auf, dass sich „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk in einem „Presse“-Interview selbst als links bezeichnet (mit der Betonung übrigens, dass er das trotz der Linken tue): Laut Ebener ist er damit „zwangsläufig Gesinnungsjournalist“: „Dr. Florian Klenk ist damit politischer Akteur und so zu behandeln, der Falter kann nicht mehr mit Qualitätsjournalismus in Verbindung gebracht werden.“

Das Parteigericht hat gesprochen. Es hat Gesinnung, die ihm missfällt, quasi als nicht normal dargestellt. Dabei ist Gesinnung laut Wikipedia eine „durch Werte und Moral begrenze Grundhaltung“. Sie macht klar, wofür man steht, was man will. Das ist etwas, was nicht nur Politiker:innen, sondern auch Journalist:innen, ja jeden politischen Menschen ganz selbstverständlich kennzeichnen sollte.

Doch jetzt schweifen wir wieder ab in die Sphären einer liberalen Demokratie. Also weg von Mikl-Leitner und der niederösterreichischen ÖVP: Sie bekräftigt hier, dass sie gewillt ist, mit allen Mitteln zu bekämpfen, was nicht ihren Vorstellungen von Normalität entspricht; auch jeden Journalisten, der das kritisch sieht und damit ihren Versuch gefährdet, eine Art Kickl zu sein.

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