Warum die FPÖ doppelt gewinnt

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ANALYSE. Ohne Kurz bringt der ÖVP die Reaktivierung von dessen Asyl- und Migrationspolitik wenig. Und selbst mit ihm wäre das selbst zu dessen besten Zeiten nicht genug für einen Wahlerfolg gewesen. Kickl kann’s egal sein.

Gerne – und zugegebenermaßen auch vom Autor dieser Zeilen – wird immer wieder so getan, als habe Sebastian Kurz die ÖVP mit bekannten Botschaften zur Asyl- und Migrationspolitik auf zunächst 31,5 Prozent (2017) und dann 37,5 Prozent (2019) geführt. Das ist jedoch nicht ganz korrekt: Das war nur ein Teil der Geschichte, der gerne überschätzt wird.

Die FPÖ darf sich daher doppelt freuen, wenn ihr Thema wieder auf der Agenda steht. Damit hat sie noch nie verloren. Im Gegenteil: Bei der Nationalratswahl 2017 hätte sie ohne Kurz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwar sehr viel mehr gewonnen; in Prozent (nicht Prozentpunkten!) hat sie damals aber ähnlich stark zugelegt wie die „neue“ Volkspartei von Kurz. Laut SORA-Wählerstromanalyse hat sie im Übrigen nicht nur rund 170.000 Wähler an diese abgeben müssen, sondern ihr immerhin auch fast 100.000 abnehmen können.

Für die Wahlerfolge von Sebastian Kurz gibt es viele Gründe: 2019 hat er vor allem auch triumphiert, weil die Freiheitlichen infolge von Ibiza-Affäre und Heinz-Christian Strache-Rücktritt am Boden lagen. Das hat er gerne ausgenützt. Damals, aber auch 2017, profitierte er zudem von einer Distanzierung von Politik und Parteien (und bezeichnete die ÖVP daher als Bewegung) sowie von einer grundsätzlich überzeugenden Wirkung seiner Person auf bemerkenswert viele Menschen. Das sollte man nicht vergessen: Kurz schied mit einem positiven Saldo von neun Punkten im APA/OGM-Vertrauensindex aus der Politik aus. Zu seinen Spitzenzeiten hatte er bis zu 38 Punkte erreicht.

Das leitet über zum FPÖ-Glück bzw. ÖVP-Dilemma von heute: Durch die Reaktivierung des Asyl- und Migrationskurses von Sebastian Kurz wird sich die Volkspartei eher nur auf sehr niedrigem Niveau stabilisieren können. Herbert Kickl und Co. dürfen hoffen, abzuräumen. Hier wird für sie gearbeitet, sie müssen keinen Finger rühren.

ÖVP-Schwäche eins: Nach der Partei hat auch die Bewegung, die sie zuletzt sein wollte, infolge von Korruptionsaffären einen Schaden erlitten. Zwei: Die „Schließung der Balkanroute“, von der Kurz gesprochen hat, wird ausgerechnet durch das Balkanland Serbien, das Tausende ohne Visum einfliegen lässt, sichtbar aufgehoben. Das wird durch den Schulterschluss, den Kurz-Nachfolger Karl Nehammer mit dem Land versucht, nicht besser. Drei: Die Problemlagen haben sich ausgeweitet. Ukraine-Krieg, Teuerung, Energiekrise, aber auch Korruption, erfordern ebenfalls Antworten – wenn nicht sogar eher.

Und ÖVP-Problem vier: Innenminister Gerhard Karner, der für Asyl- und Migrationsthemen ressortzuständig ist, kommt in weiten Teilen der Bevölkerung nicht nur nicht an, sondern ist unten durch: Bei der jüngsten APA/OGM-Befragung gab eine Mehrheit von 52 Prozent an, ihm zu misstrauen. Sein Saldo ist mit minus 22 Punkten klar negativ. Bei Nehammer ist er mit minus neun Punkten kaum weniger schlecht. Zur Erinnerung: Kurz schied mit neun Punkten aus. Aber plus neun Punkten.

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