ANALYSE. Der Landeshauptmann, der bei Missständen zu lange zugeschaut hat, könnte zumindest dafür sorgen, dass Vergleichbares in Zukunft nicht mehr möglich ist. Und zwar bundesweit.
Bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und dem Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) gab es in den vergangenen Monaten Momente, die vergleichbar sind: Nehammer trat im Dezember die Sebastian-Kurz-Nachfolge im Lichte bekannter Affären an, um als Lernender umfassende Transparenzbestimmungen anzukündigen. Wallner gestand an einem vorläufigen Höhepunkt der Wirtschaftsbund-Affäre Anfang April, zu lange zugeschaut zu haben. Beides klang vielversprechend – wie das aber halt so ist bei einem Moment, nur vorübergehend.
Heute kann man Nehammer unterstellen, dass er gelernt hat, aufzupassen. Nämlich auf Parteifreunde, die zum Beispiel einen personell wie mitgliedermäßig deckungsgleichen Seniorenbund als ÖVP-Teilorganisation und als Verein führen, um nicht zuletzt auch alle möglichen steuergeldfinanzierten Leistungen ausschöpfen zu können. Transparenz wäre hier Gift.
Hellhörig hätte man schon werden können, als der ÖVP-Abgeordnete Andreas Ottenschläger in Bezug auf eine Neuaufstellung der Parteienfinanzierung unlängst deren „Praxistauglichkeit“ hervorhob. Damit hat er verraten, was im Vordergrund steht: Nicht gläserne Kassen, sondern Regelungen, die den Parteien passen. Mittlerweile weiß man, dass genau das beabsichtigt ist: Sowohl der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat als auch der Rechnungshof haben auf Umgehungsmöglichkeiten hingewiesen.
Und Wallner? Er ist Chef des Landes, zu dem auch Beteiligungsunternehmen wie eine Bank gehören; und er ist Chef der Volkspartei, zu der auch die Teilorganisation Wirtschaftsbund gehört. Beide haben über die Zeitschrift „Vorarlberger Wirtschaft“ Geschäfte miteinander gemacht. Zweitens: Er führt de facto das Land, seine Partei ist über dortige Bürgermeister auch in den meisten Gemeinden bestimmend. Viele Unternehmen leben von öffentlichen Aufträgen. Auch hier schließt sich ein Kreis zu Inseratenschaltungen in der „Vorarlberger Wirtschaft“ bzw. zu heiklen Fragestellungen: Inseriert eine Firma aus kommerziellen Gründen oder zur Stimmungspflege? Worauf kann eine vorherrschende Partei bzw. ihre Teilorganisation setzen, kann sie ihre Machtposition ausnützen, ohne sie aussprechen zu müssen? Okay, laut dem ehemaligen stellvertretenden Tischler-Innungsmeister Michael Stadler gab es auch Druckausübung.
Vieles bleibt im Dunkeln. Oder im Halbdunkeln: Bezeichnend ist, dass nicht einmal klar ist, wie viel Geld in den vergangenen Jahren vom Wirtschaftsbund an die Volkspartei geflossen ist. Die Partei sagt, 900.000 Euro, die Finanz geht Medienberichten zufolge von eineinhalb Millionen Euro aus. Solche Irritationen passen zum System: Wie hier berichtet, wurde eine halbe Million Euro Einnahmen im Rechenschaftsbericht der Partei für das Jahr 2018, der im Amtsblatt des Landes veröffentlicht ist, unter dem Titel „Erträge aus wirtschaftlicher Tätigkeit“ ausgewiesen und in der Fassung, die auf der Website des Rechnungshofes steht, stattdessen (!) unter „Sonstigen Erträgen und Einnahmen“.
Ein Problem? Es gibt eine unmittelbare und eine weiterreichende politische Verantwortung von Wallner. In diesem Wirtschaftsbund haben haarsträubende Verhältnisse entstehen können. Sie reichen bis hin zu einer angeblichen Rot-Kreuz-Spende, die dort nie angekommen ist, der atemberaubenden Bezahlung des Geschäftsführers und eben schwindelerregenden Umsätzen mit Inseraten in der „Vorarlberger Wirtschaft“. Was rechtlich halb so schlimm, wenn nicht überhaupt belanglos sein könnte. Aber nicht darüber hinaus: Ein CEO, der mit vergleichbaren Zuständen in einer Konzernabteilung konfrontiert wird, müsste sich erklären. Aber hier geht es um Politik, sind die Maßstäbe noch strenger, wiegt es schwerer, zu lange zugeschaut zu haben, geht es doch um Aufgaben und Pflichten, die z.B. ein Landeshauptmann im Sinne der Allgemeinheit hat, ist immer auch Steuergeld im Spiel, muss der demokratischen Ordnung halber ein fairer Parteienwettbewerb gewährleistet sein etc.
Eine Voraussetzung dafür ist eine transparente Parteienfinanzierung, die auch die fantasievollsten Mittelflüsse und Vereinskonstruktionen sowie selbstverständlich auch harte Strafandrohungen für Verstöße umfasst; ist die Abschaffung des Amtsgeheimnisses bzw. die Einführung einer ernstgemeinten Informationsfreiheit; ist eine zeitnahe Offenlegung sämtlicher Inserate aus dem Einflussbereich der öffentlichen Hand. Grund: Wo Licht ist, gibt es (eher) keine Missstände – und damit auch weniger Anlässe, zu zweifeln oder von einer schiefen Optik zu reden; ist eine Basis dafür gelegt, was grundlegend notwendig erscheint, Vertrauen nämlich.
Wer, wie Nehammer, mit Affären aus der Zeit des Vorgängers konfrontiert ist, vor allem aber, wer, wie Wallner, selbst damit zu tun hat, könnte, ja müsste zumindest hier ansetzen: Wenn es bei jeder anderen Geschichte möglich ist für einen Landeshauptmann, „Wien“ mit Forderungen zu konfrontieren, bis sie nicht nur in seinem eigenen Einflussbereich, sondern bundesweit wie umfassend realisiert sind, sollte das hier erst recht möglich sein.
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