ANALYSE. Auch SPÖ und ÖVP haben sich der Stimmungslage im Land angepasst und senden lieber Signale gegen Brüssel aus.
Tosender Applaus wurde dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen während und nach seiner Rede vor dem Europäischen Parlament zuteil. Zurecht: Endlich hörten die Abgeordneten wieder einmal einen, der sagte, dass nicht alles den Bach runter gehe, sondern dass die Integrationsidee nach wie vor groß und einzigartig sei; und dass bei allem Zweifel die Zuversicht überwiegen müsse. Das hat ihnen richtig gut getan.
Zumal das ein Österreicher erklärte. Ausgerechnet ein Österreicher! Von einem Othmar Karas und vielleicht ein paar anderen abgesehen gibt es nicht viele, die aus diesem Land kommen und die so ungeniert für Europa brennen. Das war einmal anders. Franz Fischler, Erhard Busek oder Franz Vranitzky konnten das noch. Über letzteren ist sogar ein Buch erschienen mit dem Titel: „Ein großer Europäer“. Doch diese Zeiten sind vorbei.
Der Bundespräsident ist da ziemlich einsam. Natürlich betont auch der Kanzler, „ein bekennender Europäer“ zu sein. Die Signale, die Christian Kern (SPÖ) aussendet, sind jedoch andere. Noch nicht einmal ein Jahr im Amt, lässt er schon wissen, er „verliere langsam die Geduld“ mit der EU. Was auch von da her originell bis befremdlich ist, als von ihm noch keine nennenswerten Beiträge zum Reformprozess der Union, für den er mitverantwortlich ist, überliefert sind. Abgesehen davon will er über eine Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit verhandeln. Dafür mag es Gründe geben, das Signal ist jedoch fatal, geht es da doch gegen einen Grundpfeiler der europäischen Integration.
67 Prozent der Österreicher sind für die Freizügigkeit. Das ist der niedrigste Wert in der gesamten Union.
Ein Stück weit ist die Politik freilich auch eine Resignation gegenüber der Stimmungslage. Sie ist katastrophal, wie die jüngste Eurobarometer-Erhebung zeigt: 67 Prozent der Österreicher sind für die Freizügigkeit, überall leben, arbeiten, studieren und Geschäfte machen zu dürfen. Das ist der niedrigste Wert in der gesamten Union. Selbst in Großbritannien sind es mit 68 Prozent mehr. Und das will etwas heißen. Stichwort „Brexit“. In Deutschland sind es übrigens 90 Prozent (siehe Grafik). Aber dort gibt es auch eine andere Politik.
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Die übrigen Mittelparteien stehen der SPÖ nicht nach. Im Gegenteil, die Freiheitlichen spielen, je nachdem, ob es ihnen gerade ins Konzept passt oder nicht, mit einem Austrittsvotum. Und auch die ÖVP setzt sich dafür ein, dass EU-Bürger wieder ungleicher behandelt werden: Außenminister Sebastian Kurz und Familienministerin Sophie Karmasin kündigten diese Woche etwa ein nationales Gesetz zur Kürzung der Familienbeihilfe für in anderen Mitgliedsländern lebende Kinder an. Applaus von der rechten Seite ist ihnen dafür sicher.
Screenshot/Quelle: Eurobarometer-Auswertung