Türkis vs. Grün: Jetzt geht’s los

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ANALYSE. Klimaschutz wird weniger wichtig, Anschober muss zur Seite rücken, eine Verschärfung des Amtsgeheimnisses droht.

Dem türkisen EU-Gipfel-Siegesrausch wollte sich der eine oder andere Grüne nicht anschließen. Vorarlbergs Landessprecher Johannes Rauch verweigerte sich beispielsweise: „Auf diesen „Rabatt“ mag ich nicht stolz sein, weder als Europäer noch als Österreicher. Sorry about“, twitterte er zu dem, was Kanzler-Chefkommunikator Gerald Fleischmann, aber auch die „Presse“ als rot-weiß-roten „Sieg“ darstellten; dass Österreich künftig einen höheren EU-Beitragsnachlass haben wird (unterm Strich aber halt trotzdem viel mehr zahlen wird, wie dem Kleingedruckten zu entnehmen ist).

Schlimmer noch aus Grüner Sicht dürften freilich die Nebengeräusche sein; die Kanzleraussage etwa, dass südliche Länder in ihren System kaputt seien. Jedenfalls schmerzen muss Rauch und Co. jedoch dies: Auf europäischer Ebene wird viel weniger als geplant für den Ausstieg aus fossiler Energie bereitgestellt werden. Und „das stark von Kohleverstromung abhängige Polen darf diese Mittel anzapfen, ohne sich selbst zur Klimaneutralität im Jahr 2050 zu verpflichten, wie dies alle anderen 26 Mitgliedsstaaten bereits getan haben“, so die „Presse“.

Das ist ein Signal: Den EU-27 und damit auch Österreich ist Klimaschutz weniger wichtig. In der Krise hat man ohnehin schon genug andere Sorgen. Das macht überfällige Maßnahmen zum Klimaschutz auch hierzulande noch unwahrscheinlicher als sie es aufgrund des vagen Regierungsprogrammes ohnehin schon sind. Gut, das eine oder andere Paket erhält einen grünen Anstrich. Damit der Schein gewahrt bleibt, werden gewisse Förderungen, wie jene zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, erhöht. Klammer auf: Und wer soll das am Ende des Tages bezahlen? Klammer zu.

Zu einem Lenkungseffekt würde natürlich sehr viel mehr gehören. Zunächst einmal die Abschaffung des Dieselprivilegs und anderer klimaschädlicher Förderungen. Ob die ÖVP dazu bereit sein wird? Wegen der Frächter und der Bauern? Die Verlockung, dagegen zu wetten, ist groß.

Die Zeit drängt. Allmählich werden auch andere „Reformen“ angegangen, die den Grünen abseits von Corona besonders wichtig sind. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses beispielsweise. Im Sommerministerrat soll Konkretes dazu vorgelegt werden. Alles andere als eine Verschärfung des Amtsgeheimnisses wäre jedoch eine Überraschung. Ursprüngliche Pläne, die noch zu rot-schwarzen Zeiten geschmiedet worden waren, wären zwar ebenfalls unter dem offiziellen Titel „Abschaffung des Amtsgeheimnisses“ gelaufen, in Wirklichkeit aber eben auf eine Verschärfung hinausgelaufen. Aus einem Amtsgeheimnis mit Ausnahmen wäre eine Informationsfreiheit mit furchtbar vielen Einschränkungen geworden, wie der Verwaltungsrechtler Ewald Wiederin analysiert hat. Dabei droht es zu bleiben. Auch ein Informationsschutzbeauftragter, der im Fall des Falles die Interessen der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen könnte, ist heute nicht vorgesehen. Fadenscheinige Begründung: Man wolle nicht noch mehr Verwaltung schaffen.

Platz für (gefühlt) hunderte Pressesprecher bzw. Message-Durchsetzer ist aber. Womit wir beim nächsten Punkt angelangt wären, der den Grünen mehr und mehr zu schaffen macht: Die ÖVP bestimmt die Regierungsinformation zu 100 Prozent. Und sie weiß auch, wie das geht: In Brüssel ist der Kanzler von einem Leibfotografen begleitet worden, die Nachrichtenagentur APA hat die Bilder übernommen. Ihre Entschuldigungen dazu sind schwach: Man weise eh drauf hin, wer sie gemacht habe. Aber Hand aufs Herz: Achten Sie bei Zeitungsfotos drauf, was im winzigen „Credit“ steht? Also. Und überhaupt: Bilder sagen mehr als 1000 Worte. Ergebnis: Sehr vielen Österreichern ist der Eindruck vermittelt worden, in den Gipfeltagen habe sich einfach alles nur um „uns“ gedreht: Wir haben alle Gespräche geführt und den Vertreterinnen und Vertretern der übrigen Mitgliedstaaten erklärt, wo’s langgeht. Sie haben immer ordentlich zugehört. Es ist beschämend für die Teile der Medienszene, die sich für diese unglaubwürdige Erzählung einspannen lassen.

Andererseits: Regierungskommunikation nützt die wirtschaftliche Krise der Medienbranche schamlos aus, die sie noch dazu durch willkürliche Inseratenvergabe beeinflusst. Zunehmend laufen auch die Grünen Gefahr, unter die Räder zu kommen. Jüngstes Beispiel: Ihnen wird nicht einmal das Selbstverständlichste zugestanden, dass sich nämlich „ihr“ Gesundheitsminister Rudolf Anschober vor die Presse stellt, um die Wiedereinführung der Maskenpflicht zu verkünden. Nein, das muss zwei Tage warten (ist sachlich also nicht so dringlich), bis der Kanzler aus Brüssel zurückgekehrt ist. Ergebnis: Sebastian Kurz verkündet die Maßnahme. Anschober darf natürlich auch irgendetwas sagen, aber das hat halt nur im Kleingedruckten Platz. PS: Vielleicht wird dem Gesundheitsminister schon zum Verhängnis, gerade beliebter als der Kanzler zu sein.

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