Türkis-Blau: Sie nehmen einander nicht einmal ernst

ANALYSE. Vor allem ÖVP-Politiker bemühen sich, freiheitliche Auswüchse zu ignorieren. Das dient der Harmonie, schadet am Ende jedoch allen Beteiligten. 

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ANALYSE. Vor allem ÖVP-Politiker bemühen sich, freiheitliche Auswüchse zu ignorieren. Das dient der Harmonie, schadet am Ende jedoch allen Beteiligten.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) kann deutlich werden. Wenn er will. Im Ö1-Interview vermied er es vorige Woche, als er auf die Aussage von Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) angesprochen wurde, wonach er sich mit einer absoluten Mehrheit in der Hand den autoritären Führungsstil des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zum Vorbild nehmen würde. Der Wähler habe das Wort, antwortete Sobotka: Der Wähler werde entscheiden, wie er das Votum zu verteilen habe. Und dem Souverän in einer ausgereiften Demokratie nicht zu vertrauen, wäre schlecht. 

Aber was soll Sobotka machen: „Nicht streiten“ hat oberste Priorität.

Hä? Keine Sorge: Inhaltlich ergibt diese Formulierung keinen Sinn im Zusammenhang mit der Fragestellung. Doch das hat Sobotka wohl auch in Kauf nehmen müssen. Sonst hätte er den Koalitionsfrieden belasten müssen – selbstverständlich hätte er zumindest darauf hinweisen müssen, dass es gewisse Grundprinzipien gibt, wie die Rechtsstaatlichkeit, die unumstößlich sind; ja, natürlich hätte er sich ganz unmissverständlich gegen die so offen ausgesprochene Vorstellung des Vizekanzlers der Republik Österreich stellen müssen, an diesen zu rütteln.

Aber was soll er machen: „Nicht streiten“ hat oberste Priorität. Und das wird in dem Maß zunehmend zum Problem, in dem sich beispielsweise Freiheitliche genötigt sehen, ihr eigenständiges Profil zu schärfen, um nicht zu weit hinter die Kanzlerpartei ÖVP zurückzufallen. Dass sie das tun, kann man daraus ableiten, dass sich ÖVP-Vertreter so häufig gezwungen sehen, so nebulos-nichtssagend wie eben Sobotka zu reagieren.

Damit bewirken sie jedoch zweierlei: Wer so reagiert, bringt zum Ausdruck, dass er das Gegenüber nicht ernst nimmt. Strache will autoritäre Verhältnisse? „Meine Güte, der Herr Strache ;-)“ Auf der anderen Seite aber beschädigt sich Sobotka, um beim Beispiel zu bleiben, selbst: Als verlässlicher Hüter der Demokratie kann er nicht mehr unbedingt betrachtet werden.

Köstinger agiert, als wäre ihr Job nicht Umwelt schützen, sondern Schnellerfahren zu dulden. 

Nach diesem Muster geht es weiter: Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) darf 140 km/h auf Autobahnen probieren? Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) lässt sich im Sinne der Konfliktvermeidung gerne zur Nicht-Klimaschutzministerin degradieren: Eine Studie „ihres“ Umweltamtes, wonach mit zunehmender Geschwindigkeit die Emissionen stark zunehmen, ignoriert sie, eine parlamentarisch Anfrage zum Thema beantwortete sie ausweichend und eben ganz so, als wäre ihr Job nicht Umwelt schützen, sondern Schnellerfahren zu dulden.

Oder ÖVP-Klubobmann August Wöginger, der – weil die Koalition im Endeffekt ja halt doch etwas weiterbringe – auf Ö1 darüber hinwegblickt, dass sein FPÖ-Kollege Walter Rosenkranz in der TT etwa die westösterreichischen Landeshauptleute als Linke denunziert: Damit trägt Wöginger zu einer gewissen Wurstigkeit bei – Rosenkranz darf sagen, was er will, Landeshauptleute müssen sich anschütten lassen, wie es Freiheitlichen gefällt. Das ist einfach, das beschädigt alle Beteiligten.

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