ANALYSE. Als Österreicher sollte man nicht schadenfreudig über die Kemmerich-Wahl sein. Die Reaktionen darauf sollten eher nachdenklich stimmen.
„Schaut euch die Deutschen an“, könnte man jetzt schadenfreudig sagen: Immer groß reden und dann diese Wahl im Landesparlament von Thüringen. Mit Hilfe der rechtsextremen AfD und der christdemokratischen CDU wurde der Vertreter der Fünf-Prozent-Partei FPD, Thomas Kemmerich, zum Ministerpräsidenten gekürt! Doch lassen wir das. Es ist zu ernst. Und überhaupt.
Nach dieser Wahl bezeichnete ein deutscher Politiker den Chef der AfD Thüringen, Björn Höcke, ausdrücklich als „Nazi“ und fordert Neuwahlen: Mit solchen Leuten dürfe und könne man nicht kooperieren, in welcher Form auch immer. Der Name dieses Politikers: Paul Ziemiak. Seine Funktion: Generalsekretär der Bundes-CDU. Quasi der Schwesterpartei der türkisen ÖVP. Aber nur im entferntesten Sinne.
Der Punkt ist: Ziemiak ist in Deutschland keine Ausnahme, auch Kanzlerin Angela Merkel und viele andere geben sich angewidert über diese Geschichte und bekräftigen, dass es mit der AfD nicht gehe.
In Österreich ist Vergleichbares undenkbar. Dabei kann man AfD und FPÖ durchaus vergleichen. Dazu muss man jetzt nicht weit ausholen: FPÖ-Vizechef Herbert Kickl ist gerade erst zur deutschen Schwesterpartei gefahren, um zu verkünden, dass man die Zusammenarbeit intensivieren werde. Hierzulande hat das nicht weiter Schlagzeilen gemacht. Man ist es gewöhnt.
In Deutschland hätte es eine Parteigründung wie die der FPÖ einst nicht geben können. Möglich war sie, weil die FPÖ in Sozialdemokraten entscheidende Geburtshelfer und in ÖVP-Vertretern ebenfalls große Förderer hatte, wie dieSubstanz.at hier schon einmal näher ausgeführt hat. Das Motiv der beiden Großparteien: Man wollte sich nicht zu sehr abhängig machen voneinander und war daher über einen anderen möglichen Partner froh. 1970 hat Bruno Kreisky für seine Minderheitsregierung Gebrauch davon gemacht, 1983 bis 1986 folgte Rot-Blau, 2000 bis 2006 und zuletzt noch einmal Schwarz- bzw. Türkis-Blau.
Dabei gab es verhängnisvolle Entwicklungen: Erstens, unter diesem Umständen hat man bei den Freiheitlichen natürlich nicht so genau hin-, sondern weggeschaut. Schlagende Burschenschafter in Ministerkabinetten? Kein Problem. Auch eine Liederbuchaffäre ist allenfalls nur mit mehrmonatiger Verzögerung „widerlich“ gewesen.
Zweitens, Franz Vranitzky (SPÖ) schloss dann eine Koalition mit den Freiheitlichen aus. Deren damaliger Chef Jörg Haider nützte das für eine Opferrolle und sprach von Ausgrenzungspolitik. Das war ziemlich wirkungsvoll für die Freiheitlichen.
Drittens, die Freiheitlichen schafften es, über Migrationsthemen groß zu werden. Und zwar gefährlich groß für ihre Mitbewerber. Am Ende ließen sich der Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil sowie die oberösterreichische ÖVP und die Bundes-ÖVP von Sebastian Kurz auf eine Koalition ein. Damit waren die Freiheitlichen inkl. ihrer Geschichte und ihrer AfD-Ähnlichkeiten wieder einmal im Zentrum der Gesellschaft.
Und dort bleiben sie auf Bundesebene insofern, als ihre Migrationspolitik auch unter Türkis-Grün fortgesetzt wird. Soll heißen: Eine harte Kante, wie sie in Deutschland gegenüber der AfD letzten Endes eben doch praktiziert wird, muss die FPÖ in Österreich nicht fürchten. Ende. PS: Gerade kommt die Meldung, dass die FPD-Fraktion in Thüringen de facto Neuwahlen beantragt und Kemmerich sein Amt demnach wieder aufgeben möchte. Was diesen Text jetzt nicht umhaut, sondern vielmehr bestätigt.
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