Scheiden ist schwer

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ANALYSE. Die Grünen können nicht mehr mit der ÖVP. Wie schon bei den Koalitionsverhandlungen fehlt es ihnen jedoch an einer entscheidenden Voraussetzung, um ans Äußerste gehen zu können.

„Schauen Sie sich Finanzminister Gernot Blümel an, der ist in Wien im Wahlkampf, das unterscheidet sich kaum noch von der FPÖ.“ Zitat: Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer am 10. September. „ÖVP fehlt Herz und Hirn.“ Zitat: Grünen-Chef Werner Kogler am 3. Februar nach der Abschiebung von Minderjährigen. Die Volkspartei habe ein „gestörtes Verhältnis zur unabhängigen Justiz“, ja ein „selektives Verhältnis zum Rechtsstaat“. Zitat: Maurer diese Woche im Zusammenhang mit der Causa Blümel.

Ganz weit Außenstehende werden nicht glauben, dass sich Kogler und Maurer hier nicht über irgendjemanden, sondern über ihren „Partner“ auf Regierungsebene äußern. Das verdeutlicht, dass es schier unglaublich ist. „Unglaublich“ ist jedoch keine brauchbare Dimensionierung. In Wirklichkeit wird klar, dass die Grünen keine tragfähige Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit der neuen Volkspartei von Bundeskanzler Sebastian Kurz sehen. Es ist so weit gekommen, dass sie das in immer kürzeren Abständigen gegenüber ihren Anhängerinnen und Anhängern mit den erwähnten Worten zum Ausdruck bringen müssen.

In einem ordentlichen Rechtsstaat kann es für eine Regierungspartei kein gestörtes und schon gar kein selektives Verhältnis zu ebendiesem geben. Indem die Grünen ein solches aber der ÖVP attestieren, erklären sie das, was der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) vor vielen Jahren über die FPÖ gesagt hat: Sie steht außerhalb des Verfassungsbogens.

Die Grünen haben jedoch ein eher dramatisches Problem: Es ist schwer bis unmöglich für sie, ans Äußerste zu gehen. Das erinnert ein bisschen an die Regierungsverhandlungen vor etwas mehr als einem Jahr: Darauf waren Kogler und Co. nicht vorbereitet; sie waren ja erst in den Nationalrat zurückgekehrt. Also mangelte es ihnen nicht nur an der inhaltlichen und personellen Breite und Erfahrung, um solche Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende bringen zu können. Sie haben sich nicht einmal eine Antwort auf die Frage zurechtlegen können, was ist, wenn die Verhandlungen scheitern.

Das ist ein wichtiger Punkt, der zu gerne übersehen wird: Kogler hätte der Öffentlichkeit nicht sagen können, sorry, aber mit Kurz mögen wir nicht. Sie hätten sich eine überzeugende Geschichte dafür entwickeln müssen, um Risiken im Hinblick auf mögliche Neuwahlen zu minimieren. Insbesondere Kurz wäre ihnen jedenfalls mit dem Vorwurf gekommen, dass sie sich der Verantwortung für das Staatsganze-und-so-weiter-und-so-fort entzogen und Türkis-Blau II beinahe erzwungen hätten. Darauf hätten sie etwas Starkes erwidern müssen.

Heute sind die Grünen nicht viel weiter: Wenn sie wegen Blümel die Koalition aufkündigen, reicht es ihnen nicht, auf die türkisen Attacken auf die Justiz zu verweisen. Sie müssten in weiterer Folge ihren Anhängern erzählen, warum sie schon so viel geschehen lassen haben – die Absage an eine Aufnahme von Kindern aus Moria etwa; oder die jüngsten Abschiebungen. Beides hat dazu beigetragen, dass die Grünen in der Wählergunst laut „profil“ auf zehn Prozent „stark abgesackt“ sind.

Vor allem aber müssten die Grünen auch sagen können, warum es jetzt trotz Coronakrise und allem, was damit einhergeht, Neuwahlen geben müsse. Auch das ist nicht ganz einfach. Im Gegenteil, es würde wohl nur gut ausgehen für sie, wenn sie sich glaubwürdig als Spitze einer Bewegung für ein anderes, ein nicht-türkises Österreich in Szene setzen könnten, für das eine Mehrheit durchaus möglich erscheint. Ob sie dazu in der Lage sind? Sie müssten.

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