Riskantes Mikado

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ANALYSE. Wer sich nicht (mehr) bewegt, kann nichts falsch machen: Kann die neue Strategie von Nehammer, aber auch Babler aufgehen? Fraglich.

Rainer Nowak hat in der Sonntagskrone eine interessante Feststellung zum Ausdruck gebracht: Die neue Strategie von Karl Nehammer, dem Kanzler und ÖVP-Chef, ist es demnach, sich zurückzuhalten. Vorbild sei Alexander Van der Bellen: Als dieser noch Grünen-Chef gewesen sei, seien die Umfragewerte gestiegen, wenn er abgetaucht sei. Habe er sich zu Wort gemeldet, seien sie gesunken.

Ob das auch bei Nehammer funktionieren kann? Fakt ist: Mit „Normalität“, „Glaub an Österreich“ und „Leitkultur“ bzw. den wenig überlegten Ansätzen dazu hat er sich in der Vergangenheit nichts Gutes getan. Wenn er darauf verzichtet hätte, hätte er sich weniger geschadet. Fakt ist andererseits aber auch, dass es hochriskant wäre für ihn, sich jetzt einfach nur auf ein paar Signale wie jenes zu beschränken, gemeinsam mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak für harte Asylpolitik zu stehen: In gut zwei Wochen findet die Europawahl statt. Es ist möglich, dass die ÖVP hier tief fällt und auf Platz drei landet. Dann ist sie, dann ist Nehammer angezählt. Dann wird er zwar nicht aus den eigenen Reihen heraus gestürzt werden, geht aber angeschlagen in den Sommer und die unmittelbar darauf folgende Nationalratswahl. Für diesen Fall wird er erst recht eine andere Strategie in petto haben müssen, die eine aktivere Rolle beinhaltet. Sonst läuft er Gefahr, als „Lame Duck“ rüberzukommen, also als einer, der weiß, dass seine Tage im Kanzleramt gezählt sind und sie daher nur noch im stillen Kämmerlein absitzt.

Der Nowak-Hinweis macht darauf aufmerksam, dass es auch um den SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler ruhiger geworden ist. Klar: Wenn er in der Vergangenheit deutlich geworden ist, hat es vor allem auch Querschüsse von Genossen gegeben. Er kann es sich aber noch weniger als Nehammer leisten, sich zurückzuhalten.

Babler braucht quasi eine doppelte Wendestimmung: Für ihn wär es wichtig, dass es zu einer Mehrheit rechts der Mitte kommt; und dass weniger Leute finden, dass eine Stimme für Kickl das Richtige ist, um ihren Unmut, ihren Frust oder was auch immer kundzutun. Daran muss er arbeiten. Sofern es nicht schon zu spät ist.

Als er vor ein paar Monaten auf schwache Umfragewerte angesprochen wurde, gab er sich gelassen und kündigte eine Graswurzelbewegung an. Eine solche ist jedoch nicht wahrnehmbar. Auch wenn man versucht, genauer hinzuschauen. Vor wenigen Wochen hat er „24 Ideen mit Herz und Hirn für Österreich“ präsentiert. Was ist davon geblieben, was daraus geworden?

Es wäre allenfalls Glück für Nehammer und Babler, könnten sie das Ding noch drehen bis zur Nationalratswahl Ende September: Bis dahin ist eher nur noch große Verwunderung nach der EU-Wahl und dann vor allem die Urlaubszeit angesagt.

Kickl Stimmen abzunehmen, ist vor allem auch schwierig, weil er brutal, aber gut geplant und wirkungsvoll agiert: „Corona“ hat er als Thema aufrechterhalten und Maßnahmen- bzw. Impfgegner zu treuen Anhängern gemacht. Von Sebastian Kurz Enttäuschte ebenfalls. Ihnen hat er eingeredet, dass sie mit ihm keine böse Überraschung erleben werden. Weil er ja der „Volkskanzler“ sein werde. Was zugleich schon ein Vorgriff auf das Absehbare war: Dass Mitbewerber glauben, ihn schwächen zu können, indem sie davor warnen, dass er Kanzler werden könnte. Das hat bei Jörg Haider und Heinz-Christian Strache funktioniert, geht bei ihm aber nicht mehr. Er hat diesen Begriff neu besetzt. Und zwar so, dass ihn ein erheblicher Teil der Wählerschaft erst recht als Regierungschef haben möchte.

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