ÖVP nimmt alles, NEOS bleibt Lehre

ANALYSE. Der fliegende Wechsel des Nationalratsabgeordneten Christoph Vavrik sagt über alle Beteiligten sehr viel aus. 

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ANALYSE. Der fliegende Wechsel des Nationalratsabgeordneten Christoph Vavrik sagt über alle Beteiligten sehr viel aus.

Der Nationalratsabgeordnete Christoph Vavrik hat ganz offensichtlich etwas missverstanden: Nicht er ist vor dreieinhalb Jahren ins Hohe Haus gewählt worden, sondern seine Fraktion. Verlässt er diese (aus welchen Gründen und auf wessen Betreiben auch immer), müsste er also auch die logischen Konsequenzen ziehen – und sich ganz verabschieden. Der 55-Jährige tut jedoch nicht nur das nicht; es ist noch viel schlimmer, er wechselt die Fraktion. Und das ist schlicht und ergreifend eine Form von Wählerbetrug.

Dazu gehört jedoch auch eine Fraktion, die mitspielt. In diesem Fall ist es die ÖVP bzw. deren Klubobmann Reinhold Lopatka, der Vavrik mit offenen Armen aufnimmt. Warum auch nicht? Lopatka hat in solchen Belangen alle Hemmungen aufgegeben und betreibt zumindest in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Willkommenskultur, um nicht gar von einer sehr offenen Asylpolitik zu sprechen: Jeder Abgeordnete, der will, wird von ihm persönlich begrüßt. So hat die Volkspartei unter seiner Federführung das Kunststück zustande gebracht, ihre Mandatszahl seit der Nationalratswahl von 47 auf 51 zu erhöhen.

Eigentlich könnte die ÖVP ja schon 52 und damit so viele Mandate haben wie die SPÖ. Doch den buchstäblich wilden Abgeordneten Marcus Franz, der im Sommer 2015 vom Team Stronach gekommen war, musste man nach nur einem halben Jahr wohl oder übel wieder ziehen lassen. Zu untragbar ist der Mann geworden. So wie eben Vavrik, der im vergangenen Herbst in einem Facebook-Eintrag zu einer Adoption durch ein Homosexuellenpaar gemeint hat: „Künftige Zivilisationen werden auf solche gesellschaftlichen Abartigkeiten mit demselben Unverständnis blicken wie wir auf die Sklaverei.“

NEOS kann zunächst über die Trennung mit Christoph Vavrik froh sein: Ein Mann mit solchen Ansichten passt zu einer liberalen Partei wie ein überzeugter Kommunist zur ÖVP. Doch auch wenn man mittlerweile gar nichts mehr ausschließen kann, so ist es noch immer so, dass letzteres eigentlich undenkbar ist: Ein Kommunist würde nur dann bei der Volkspartei anklopfen, wenn er diese unterwandern möchte. Zumal zum Beispiel offenkundig ist, dass ihr Privateigentum trotz aller Steuern und Abgaben ein bisschen heilig ist.

Bei NEOS stellt sich die ganze Sache etwas anders dar. Vavrik zeugt davon, dass der Partei von Matthias Strolz im schnellen Aufbau 2013 zumindest einer in die Reihen gerutscht ist, für den sie sich heute genieren muss. Das kann passieren, sollte bei einem Abgeordneten aber nicht vorkommen. Möglich geworden ist das auch aufgrund des Profils der Partei: Vor allem in ihrer Anfangszeit hat es sehr viele verschiedene Gründe gegeben, sich ihr anzuschließen. Enttäuschung über die ÖVP, Ablehnung der Sozialpartnerschaft, Sehnsucht nach einem gesellschafts- oder wirtschaftspolitisch freieren Staat und so weiter und so fort. Das Ergebnis ist ein Vavrik, der vielleicht eine dieser Motivlagen geteilt hat, alle anderen aber ganz und gar nicht. Also musste es früher oder später zum Bruch kommen.

Die Profilbildung ist nach wie vor eine harte Nuss für NEOS; und zwar inhaltlich wie strategisch.

Die Profilbildung ist nach wie vor eine harte Nuss für NEOS; und zwar inhaltlich wie strategisch: Liberalismus ist in Österreich ein ausgesprochenes Minderheitenprogramm. Ganz zu schweigen davon, mit allfälligen Inhalten durchzukommen: Themen abseits von Türkei, Sicherheit, Flüchtlingen und Integration zu setzen, ist schwer bis unmöglich (das gelingt nicht einmal dem Kanzler und SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern). Für Protest gegen das System stehen mittlerweile wiederum nicht nur die Freiheitlichen; Unmut ventilieren längst auch die Regierungsparteien selbst gegeneinander. Und allein auf enttäuschte ÖVP-Wähler zu hoffen, muss letzten Endes kein Erfolgsgarant mehr sein – ganz besonders, wenn der Spitzenkandidat der Volkspartei nicht mehr Michael Spindelegger (wie 2013) heißt, sondern Sebastian Kurz.

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