ÖVP, FPÖ: Unheilvolle Beziehungen

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ANALYSE. In der Pandemie rächt sich, dass sich Türkise aus nachvollziehbaren Gründen gezwungen sehen, Rücksicht auf potenzielle FPÖ-Wähler zu nehmen: Das ist auch ihre Klientel.

Warum agieren Leute wie Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und die Landeshauptmänner Wilfried Haslauer (ÖVP) und Thomas Stelzer (ÖVP) so zögerlich in der Pandemie? Warum sind sie erst fünf oder zehn Minuten nach zwölf bereit, einen generellen Lockdown hinzunehmen? Es reicht nicht, das auf ihre Loyalität zu Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zurückzuführen, der früher oder später ja wieder unbeschadet ins Kanzleramt zurückkehren möchte; und dessen Erzählung von der „Rückkehr zur Normalität“ daher bis zum Abwinken irgendwie aufrechterhalten werden musste. Es ist auch zu wenig, das damit zu erklären, dass es hier schlicht darum gehe, Unpopuläres zu unterlassen, selbst wenn es gemeingefährlich wird.

Ein wesentlicher Punkt ist das Geschäftsmodell, auf dem die neue Volkspartei beruht: Es geht darum, möglichst viele Mitte-Rechts-Wähler bei Laune zu halten. Mit ihnen gibt es traditionell eher eine Mehrheit bei Nationalrats- und – jedenfalls außerhalb Wiens – bei Landtagswahlen.

„Flüchtlingspolitik“ war das zentrale Thema, über das die neue Volkspartei das bisher betrieben hat. Ganz besonders auch im Sinne von Leuten wie Thomas Stelzer, dessen Landesorganisation bei der Landtagswahl 2015 im Schatten der damaligen Krise ein Debakel erlitten hat. Zur Umsetzung muss hier nichts geschrieben werden; sie ist bekannt. Das Ergebnis ist entscheidend: Türkisen ist es gelungen, bei den Nationalratswahlen 2017 und 2019 den Freiheitlichen hunderttausende Wähler abzunehmen und so klar zur Nummer eins zu werden. Allein vor zwei Jahren handelte es sich um eine Viertelmillion.

Mit der Pandemie ist ein ganz anderes Thema in den Vordergrund gerückt, hat das Werben um viele dieser Wähler gewissermaßen von vorne begonnen. Für die ÖVP ist das ein Problem: Gerade bei diesen Leuten sind Impfgegner und Coronaleugner oder auch -relativierer stark vertreten. Gerade bei ihnen macht man sich mit Beschränkungen schlicht unbeliebt, ist selbst eine Abwägung zwischen Impfpflicht oder wirkungsvoller, zielgruppenorientierter Impfkampagne eine solche zwischen Pest oder Cholera. Besser ist’s, man kommt ihnen weder mit dem einen noch mit dem anderen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl weiß das, er spielt mit scham- wie verantwortungsloser Art und Weise damit. Die ÖVP ahnt es, kann als Regierungspartei aber nie und nimmer so weit gehen; andererseits ist es mit ein Grund für ihre Zögerlichkeit.

In Oberösterreich haben ÖVP und FPÖ bei der jüngsten Landtagswahl recht viele Wähler an MFG verloren: Jeweils gut ein Drittel der Wähler dieser Impf- und Maßnahmengegner-Liste sind laut SORA-Analyse ehemalige Anhänger der beiden Parteien. Kickl hat darauf reagiert, indem er seinen Kurs intensiviert hat. Stelzer, indem er in seiner fortgesetzten Koalition mit den Freiheitlichen maximale Zurückhaltung im Umgang mit der Pandemie demonstrierte. Bis zu dem Punkt, an dem er aufgrund der Berichte über kriegsähnliche Zustände in den Spitälern nicht mehr anders konnte, als zu reagieren.

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