ANALYSE. Wenige Tage vor den Landtagswahlen verabschiedet sich die Volkspartei von ihrem Vernunftkurs. Anstatt Überzeugungsarbeit für diesen zu leisten, macht sie damit die Verwirrung nur noch viel größer. Zu ihrem eigenen Schaden.
„Kein Asyl a la carte“, tönt ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. „Verstärkte Grenzkontrollen“, assistiert Parteifreundin Innenministerin Johanna Mikl-Leitner – und fordert „Asyl auf Zeit“. Vergessen ist also die „Schubumkehr im Denken“, die Mitterlehner vor nicht einmal drei Wochen verkündet hat. Angst vor massiven Wahlverlusten in Wien und Oberösterreich sowie massiven Zugewinnen der Freiheitlichen motivieren die ÖVP dazu, nach rechts zu ziehen. Damit macht sie jedoch alles nur noch viel schlimmer – und verstört auch ihre eigenen Anhänger.
„Ich finde es eine Schande, wenn man Flüchtlinge, die alle die gleichen Rechte und die gleiche Würde als Menschen haben, so behandelt, als wären sie Material“, ließ Mitterlehner Ende August im ORF-Sommergespräch wissen – und veordnete sich und seinen Parteifreunden einen Kurswechsel: Nachdem Innenministerin Johanna Mikl-Leitner schon seit Mai so tat, als wäre Österreich mit einer zunächst noch überschaubaren Zahl an Flüchtlingen hoffnungslos überfordert und daher gezwungen, Zeltstädte zu errichten oder viele gleich unter freiem Himmel übernachten zu lassen, war mit Mitterlehners „Schubumkehr im Denken“ ein kleiner Beitrag dazu gleistet, was in den letzten Tagen und Wochen zu erleben war: Seite an Seite bemühten sich Behörden, Hilfsorganisationen und Freiwillige um Tausende Syrer, Afghanen und Iraker, die da über die Balkanroute ins Land kamen. Wobei sich zeigte, wie viel möglich ist. Am besten hat das vielleicht Flüchtlingskoordinator Christian Konrad zum Ausdruck gebracht: „Das Boot ist noch lange nicht voll.“
Aus Sicht der ÖVP ist es das nun allerdings sehr wohl: Aktuellen Umfragen zufolge könnte sie bei der Landtagswahl in Oberösterreich gut ein Viertel ihres Stimmenanteils von 2010 verlieren und in Wien überhaupt in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet werden. Vor dem Hintergrund sehr wahrscheinlicher FPÖ-Zugewinne führen das Mitterlehner und Co. ganz offensichtlich auf die „Flüchtlingsfrage“ und ihren eigenen Kurs in den letzten Wochen zurück.
Doch das ist schon einmal ein Irrtum: Wegbereiterin der nunmehrigen Entwicklungen war insbesondere Mikl-Leitner. Nachdem sie schon im Frühsommer von einem Notstand redete und Frauen, Männer und Kinder in Traiskirchen dahinvegetieren ließ, ist es nachvollziehbar, dass der eine oder andere heute einen absoluten Ausnahmezustand sieht, den Österreich nicht mehr bewältigen kann. Dass er also genau das für logisch hält, was ein Heinz-Christian Strache fordert: Grenzzäune!
Also meint die ÖVP, es den Freiheitlichen gleichtun zu müssen, macht damit aber alles nur noch schlimmer: Jahrelang hat ihr Publikum eine fragwürdige Asylpolitik präsentiert bekommen; ja es hat sich so sehr daran gewöhnt, dass es durch die „Schubumkehr“ wenige Wochen vor den Wahlen irritiert worden ist. Spät, aber doch erkennen Mitterlehner und Co. ihr Problem – anstatt jedoch landauf, landab dafür zu werben und Überzeugungsarbeit zu leisten, machen sie nicht nur einen, sondern gleich zwei Schritte zurück.
Die ÖVP spricht sich mehr denn je für Grenzen aus. Die Volkspartei! „Die europäische Einigung hat nationalstaatliche Grenzen überwunden“, heißt es in ihrem Grundsatzprogramm wörtlich. Doch davon will sie nichts mehr wissen. Sehr wohl etwas wissen will sie vom „Dublin“-System und davon, Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, abzuweisen. Dabei sieht jeder Mensch, dass „Dublin“ tot ist. Allein schon diese Beispiele werfen die Frage auf, wen die Volkspartei noch ansprechen will.
Neue Wähler gewinnen wird sie jedenfalls kaum: Unmissverständliche Härte predigt Heinz-Christian Strache. Also werden Verunsicherte gleich ihn wählen.
Ihren Schlammassel vollendet die Volkspartei schließlich mit ihrem Ruf nach „Asyl auf Zeit“. Damit versabschiedet sich ausgerechnet die Partei, die mit Sebastian Kurz den Integrationsminister stellt, von jedem Integrationsgedanken. „Asyl auf Zeit“ folgt dem, was in den 70er Jahren mit „Gastarbeiter“ gemeint war: Die Türken und Jugoslawen sollten demnach ohnehin nur vorübergehend als Hilfskräfte der Wirtschaft dienen. Mit Deutschkursen und dergleichen glaubte man sie folglich nicht behelligen zu müssen. Also kam es zu den bekannten Problemen.
„Asyl auf Zeit“ würde in diesem Sinne bedeuten, dass Flüchtlinge in Lagern abzuwarten hätten, bis sie wieder zurück in ihre Heimat können. Integration, Bildung und Arbeit könnte man ihnen dadurch ersparen. Was erstens einmal menschenverachtend wäre und zweitens äußerst riskant: Was ist, wenn Syrien in zehn Jahren noch immer nicht befriedet ist?
Nein, die ÖVP wird damit niemanden überzeugen können. Im Gegenteil, die einen werden sich SPÖ, Grünen oder NEOS zuwenden, die anderen der FPÖ. Womit für sie selbst nichts mehr übrig bleibt.