Österreich ist die Spielwiese der ÖVP

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ANALYSE. Seit einem Vierteljahrhundert bestimmen taktische Überlegungen der Volkspartei das politische Geschehen.

Nach der Nationalratswahl, die über zwei Monate her ist, hätte es ja auch ganz, ganz schnell gehen können: Gestärkt durch das Ergebnis hätte ÖVP-Chef Sebastian Kurz die Dinge beim Namen nennen können. Erstens: „Die Sozialdemokratie steht für mich für Stillstand. Das habe ich vor dem Urnengang gesagt und das tue ich weiterhin. Also will ich nicht koalieren mit ihnen.“ Zweitens: „Die Freiheitlichen haben sich durch das Ibiza-Video ins Abseits gestellt. In meiner Erklärung vom 18. Mai habe ich ihnen zwar ausgerichtet, dass sie ernsthafte Konsequenzen daraus ziehen müssen, diese sind sie jedoch schuldig geblieben. Also kann ich nicht koalieren mit ihnen.“ Sprich: „Ich muss es mit den Grünen probieren und wenn ich feststelle, dass das nichts wird, bleibt mir nur, dem Bundespräsidenten anzubieten, eine Minderheitsregierung zu bilden.“ Das Ganze hätte bis zum heutigen Tag erledigt sein können.

Hätte, wie gesagt: Es ist nicht erledigt, weil Taktik auch für Sebastian Kurz Vorrang hat. Zunächst kommt das Wohlergehen der Volkspartei. Dann folgt lange nichts und irgendwann kommt Österreich. Okay, diese Geschichte könnte man jetzt auch über Sozialdemokraten erzählen; ihr Glück oder Pech ist aber, dass sie keine Rolle mehr spielen.

Sebastian Kurz hat das schon 2017 unter Beweis gestellt: Zusätzlich zum ohnehin schon problematischen Zustand der Großen Koalition tat er laut Reinhold Mitterlehner alles, um den Niedergang zu beschleunigen. Ab Dezember 2017 hätte sich Kurz die Chance geboten, es selbst mit den Freiheitlichen an seiner Seite besser zu machen: „Österreich erneuern“ oder „modernisieren“ oder „zukunftsfit machen“ war aber auch hier kein Thema: Staatsreform? Tabu! Pensionsreform? Tabu! Steuersystemreform? Tabu! Und so weiter und so fort. Bezeichnend ist die Zusammenlegung der Sozialversicherungen: Rot raus, Schwarz-Blau rein sowie höhere Kosten unterm Strich. Postenschacher eben, wie man ihn z.B. auch bei den Casinos wieder kennengelernt hat. Gewonnen hat letzten Endes jedoch die ÖVP bei der Nationalratswahl am 29. September; insofern ist die Rechnung aufgegangen.

Bei der Geschichte geht übrigens unter, wie sehr sich die ÖVP in vielen Bereichen selbst im Weg steht: Von einer Staats- bis hin zu einer Pflegereform wären viele Veränderungen nur gemeinsam mit den Ländern möglich. Und sie sind zu zwei Dritteln schwarz. Umso bemerkenswerter, dass das nicht einmal auf der Parteiagenda steht. Es zeigt: Man will nicht.

Das hat Tradition: Seit einem Vierteljahrhundert wird die Innenpolitik ganz maßgeblich von taktischen Überlegungen der ÖVP geprägt. Angefangen hat es unter Wolfgang Schüssel. Er wollte den Komplex der Partei überwinden, lediglich Juniorpartner der „Sozialisten“ zu sein. Also legte er es bald nach seinem Antritt auf dasselbe an wie Kurz 2017: Neuwahlen. Der Erfolg blieb aus. 1999/2000 schaffte er als Nummer drei das Kunststück, Kanzler einer schwarz-blauen Regierung zu werden. Sie sollte nicht lange halten.

2006 wurde Schüssel buchstäblich abgewählt, was er jedoch nicht verkraftete. Also torpedierte er die rot-schwarze Koalition, die darauf folgte, was denn auch schon wieder der Anfang von ihrem Ende war.

Und heute? Wenn man von unfassbaren bzw. unverbindlichen Überschriften absieht, hat Sebastian Kurz noch immer keinen Plan hingelegt, wo genau er Österreich hinführen möchte und wie er das zu erreichen gedenkt. Aber das würde vielleicht schon wieder dem Wohlfühlprogramm widersprechen, das Kurz echten Österreichern bietet und das auch Grundlage seines bisherigen Wahlerfolge ist.

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