Notstand: Koalitionsfrage abgewendet

ANALYSE. Sobotkas Rückzieher ist ein Signal an die Präsidentschaftskandidaten, vor allem aber die Sozialdemokratie. 

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ANALYSE. Sobotkas Rückzieher ist ein Signal an die Präsidentschaftskandidaten, vor allem aber die Sozialdemokratie.

Dass Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) Freund und Feind mitten im Sommerloch und im Übrigen über eine ausländische Zeitung mit der Bemerkung überraschte, dass man die Obergrenze von 37.500 Asylanträgen heuer wohl nicht mehr erreichen werde, ist kein Zufall. Hinten herum geht dieser Rückzieher eher durch.

Bemerkenswert bleibt er trotzdem: Bis zuletzt hat Sobotka darauf gedrängt, die Vorbereitungen auf den „Notstand“, der nach Erreichen der Obergrenze ausgerufen werden sollte, zu forcieren. Am Dienstag untermauerte er dies damit, dass es im ersten Halbjahr bereits über 22.000 zugelassene Asylanträge gegeben habe. Und das hätte immerhin bedeutet, dass man um den Oktober herum bei den 37.500 angekommen wäre.

Und auch wenn er nun die Argumentation umdreht und sagt, Sonderbestimmungen zur Abwehr von Flüchtlingen dürften nicht erst nach Erreichen der Obergrenze fixiert werden, sondern seien die Voraussetzung dafür, dass man darunter bleibe, handelt es sich um einen Rückzieher; das entscheidende Druckmittel hat er schließlich aus der Hand gegeben. 

Eine Notstandsdebatte hätte Van der Bellen geschadet – und Hofer genützt.

Dass Sobotka diesen Schritt über die deutsche „Welt“ vollzogen hat, kann er nicht ernsthaft begründen: Von heute auf morgen haben sich die Umstände nicht geändert. Dass die Westbalkan-Route geschlossen bleibe, Österreich Ungarn bei der Grenzsicherung helfe und die Rücknahme von Geflüchteten erwarte, ist nicht neu. Im Gegenteil.

Kerns „Framing“ wäre zerstört worden.

So schwer der Niederösterreicher seine Vorgangsweise begründen kann, so nachvollziehbar ist sie. Aus drei Gründen:

  • Nicht nur, dass nur noch halb so viele Flüchtlinge nach Österreich kommen wie vor einem Jahr; nur noch ein Fünftel davon stammt aus den von Bürgerkrieg und IS-Terror am stärksten betroffenen Ländern Syrien und Irak. Das reduziert den Druck doppelt.
  • Vor allem aber wäre eine Notstandsdebatte im Herbst eine echte Wahlhilfe für den freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer: Schon allein aufgrund der Wortwahl würden SPÖ und ÖVP zu verstehen geben, dass sie die Kontrolle über das Land vollends verloren haben. Das Unsicherheitsgefühl würde noch weiter steigen. Und das würde Hofers Mitbewerber Alexander Van der Bellen schaden, ihm selbst jedoch nützen, hat er doch schon immer vor einer Eskalation gewarnt.
  • Eine Notstandsdebatte hätte im Übrigen das Potenzial gehabt, die Koalition zu sprengen: Christian Kern ist als Kanzler und SPÖ-Vorsitzender nicht angetreten, die Politik seines Vorgängers Werner Faymann, die diesen letzten Endes auch zum Rücktritt zwang, fortzusetzen; das wäre mit einer solchen jedoch der Fall gewesen. Kerns „Framing“ wäre zerstört worden: Nicht Alarmismus und Panikmache ist demnach gefragt; sondern Rationalität und vor allem der Versuch, dem Land wieder eine positivere Stimmung zurückzugeben.

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