Ludwig lässt’s geschehen

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ANALYSE. Die SPÖ bräuchte einen Neustart. Der Wiener Bürgermeister wäre gefordert. Er lässt es jedoch auf eine noch größere Krise ankommen.

Es handelte sich um einen denkwürdigen Auftritt von Pamela Rendi-Wagner in der ZIB 2 am Montagabend, und die SPÖ-Vorsitzende hatte ja vollkommen recht: „Ich habe 2018, zu einer Zeit, als es der Partei wirklich schlecht gegangen ist, Verantwortung übernommen. Hans Peter Doskozil hat das nicht getan, er hat es auch 2021 nicht getan.“ Und ebenfalls an dessen Adresse gerichtet: „Immer nur hinter dem Vorhang hervor oder aus der Hecke zu schießen, das schwächt die Partei, das sehen wir auch an den Umfragen.“

Es ist wirklich so: Vor fünf Jahren schmiss der damalige Vorsitzende Christian Kern hin. Er war unter anderem auch mit Doskozil im Konflikt gestanden. Und die Lage schien trostlos: Viel sprach dafür, dass Sebastian Kurz vor einer langen Kanzlerschaft steht. Und dass die SPÖ, die er verachtete, ebenso lange in Opposition bleiben muss.

Da wollte niemand übernehmen. Rendi-Wagner war bereit dazu und alle waren froh darüber. Auch Doskozil, für den es zunächst darum ging, sich bei einer Landtagswahl zu beweisen, die erst 2020 stattfand.

2019, als die SPÖ bei der Nationalratswahl unter Führung von Rendi-Wagner stark verlor, hätte man sich die Frage stellen können, woran es hapert. Man hat es nicht getan. Im Laufe der Zeit haben einzelne Genossen – allen voran Doskozil – jedoch angefangen, deutlich zu machen, dass sie aus ihrer Sicht nicht die Richtige sei.

Rendi-Wagner bemühte sich um Befreiungsschläge. Bei einer Mitgliederbefragung sprachen sich 2020 71,4 Prozent für sie als Vorsitzende aus. Das war eine Mehrheit. Abgesehen davon, dass es weder eine Gegenkandidatin noch einen Gegenkandidaten und auch keine Pflicht gegeben hatte, an der Beteiligung teilzunehmen, votierte aber eben mehr als ein Viertel bewusst nicht für sie.

Bei einem solchen Ergebnis sollte man sich überlegen, ob es nicht besser ist, zu gehen. Es bedeutet, dass man sich auf keine Geschlossenheit mehr stützen kann; dass einem Misstrauen entgegengebracht wird; dass jederzeit mit offenen Anfeindungen zu rechnen ist. Es mag ungerecht sein, aber es ist so. Derartige Konflikte schaden der Partei, wenn sie offen ausgetragen werden und kein Ablaufdatum haben.

Jetzt, da die Führungsdebatte, die in Wirklichkeit auch von einer Orientierungslosigkeit der Sozialdemokratie zeugt, zu Wahlniederlagen führt, und nicht nur Doskozil immer offener Kritik an Rendi-Wagner übt, sagt sie erst recht, bleiben zu wollen.

Das Problem ist, dass sie nichts vorzuweisen hat. Weil es ihr schwer bis unmöglich gemacht worden ist, etwas zu erreichen; weil sie weder eine große Strategin noch eine solche Rednerin ist; und weil die guten Umfragewerte aus dem vergangenen Jahr, auf die sie gerne verweist, vor allem auch ein Ergebnis davon waren, dass sich die ÖVP im freien Fall und die FPÖ noch nicht oben auf befand.

Man tut Rendi-Wagner Unrecht, wenn man behauptet, dass sie für nichts steht. Sie unterscheidet sich von vielen Politikern dadurch, dass ihr Bösartigkeiten und Hetze fremd sind. Dass sie besonders in der Pandemie gezeigt hat, eine Sache, in diesem Fall die Gesundheit, über alles andere zu stellen. Genau das aber macht ihr auch schon wieder zu schaffen, weil sie nicht auf die vielen Menschen zugeht, die die Politik durch Coronamaßnahmen gegen sich aufgebracht hat. Das wäre jedoch nötig, um als größere Partei Wahlerfolge erzielen zu können.

Mittlerweile befindet sich die Sozialdemokratie in einer üblen Position: Es gibt wieder eine Mehrheit rechts der Mitte, also gegen sie. Rein rechnerisch würde sich für sie nur eine Zusammenarbeit mit einer stärkeren FPÖ ausgehen. Eine solche kann sie jedoch vergessen.

Gut, könnte man im Sinne des Wiener Bürgermeisters Michel Ludwig (SPÖ) einwenden, Umfragen ändern sich. Will man aber nicht nur auf das Prinzip Hoffnung setzen, muss man auch etwas tun dafür und zum Beispiel ein Programm für ein anderes Österreich entwickeln. Diesbezüglich ist nichts in Sicht. Das ist auch ein Versäumnis von Rendi-Wagner.

Es kommt zu einer Verhärtung. Unfreiwillig vermittelt sie zunehmend den Eindruck, bleiben zu wollen, weil sie gewählte Vorsitzende ist. Das ist für die Partei jedoch wertlos. Wenn, dann müsste sie für eine Perspektive stehen.

Die einzige Perspektive, die der SPÖ im Moment droht, ist, dass die parteiinternen Debatten medienöffentlich fortgesetzt werden; dass sich mehr und mehr Leute abwenden, weil es ja größere Herausforderungen zu bewältigen gibt; dass Rendi-Wagner weiterhin auch schäbig behandelt wird; dass es vielleicht zu einer Kampfabstimmung kommen wird, bei der sie 51 oder 49 und Doskozil 49 oder 51 Prozent erzielt und so gar nichts gelöst wird.

Vor diesem Hintergrund müsste sie sich verabschieden. Sie wird von zu vielen Genossen abgelehnt. Die Gründe tun nichts zur Sache, es ist so. Umgekehrt wäre es absurd, mir nichts, dir nichts Doskozil zu bitten, Nachfolger zu werden. Wiens Bürgermeister Michel Ludwig (SPÖ) als mächtigster Sozialdemokrat müsste das Heft in die Hand nehmen und eine Neuaufstellung in die Wege leiten. Allein: Er will über den nächsten Parteitag hinaus hinter Rendi-Wagner stehen, wie er betont. Er, der eine noch größere Parteikrise verhindern können, lässt es damit auf eine solche ankommen.

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