Kurzokratie

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ANALYSE. Sebastian Kurz tritt als Bundeskanzler zurück, bleibt jedoch der mächtigste Mann der österreichischen Politik. Er kann Schallenberg dienen oder auch zu Fall bringen.

Macht ist nicht nur eine Frage des Amtes, sondern auch des Gewichtes und des Geschickes, das man einbringt. Sprich: Mit Sebastian Kurz ist weiterhin zu rechnen. Als Partei- und Klubobmann. Und überhaupt. Kaum hatte er seinen Rücktritt als Bundeskanzler verkündet, twitterte seine Vertraue, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), am Samstagabend: „Ich bin sicher, dass @sebastiankurz alle Vorwürfe entkräften und bald als Bundeskanzler ins Amt zurückkehren wird.“

Natürlich: Es könnte auch ganz anders kommen, vorerst aber hat Kurz nur die Funktion gewechselt. Und ja: Es ist bemerkenswert, dass es den kleinen Grünen gelungen ist, in den vergangenen Tagen aufgrund der neuesten Vorwürfe so viel Druck aufzubauen, dass er das Kanzleramt abgeben musste. Es könnte aber auch ein Pyrrhussieg werden.

In Österreich könnte selbst ein Bundespräsident so mächtig sein, dass man sich – frei nach Norbert Hofer – wundern würde, was alles geht. In einem Buch zum Amt („Der Bundespräsident“, Böhlau-Verlag) hat der Rechtswissenschafter Manfried Welan das am Beispiel Bruno Kreisky durchgespielt: „Er war die große politische Persönlichkeit, welche als volksgewählter und unabsetzbarer Bundespräsident von dessen Befugnissen voll und ganz Gebrauch gemacht hätte. Als Chef der stärksten Partei, der seine Parteiführerschaft formell abgelegt hätte, hätte er Kanzler und Minister als Vertrauenspersonen und Erfüllungsgehilfen bestellt.“ Öffentlichkeitsarbeit und Massenmedien seien ihm vertraut gewesen. „Sicher hätte er die Richtlinien der Außenpolitik bestimmt und in der Innenpolitik die allgemeine Richtung vorgegeben.“

Kreiskys Partei, die SPÖ, hatte zwar eine absolute Mehrheit und damit einhergehende Möglichkeiten. Die ÖVP ist heute aber die mit Abstand größte Partei, es gibt kein realistisches Alternativbündnis zu ihr – und Kurz beherrscht es, mit der öffentlichen Meinung so sehr zu arbeiten, dass quasi vollendete Tatsachen entstehen.

Dass Macht nicht nur eine Frage des Amtes ist, hat sich in den vergangenen 21 Jahren drei Mal ganz konkret gezeigt: Mit den Worten „Susanne, geh du vorn“, übergab der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider die FPÖ-Führung im Mai 2000 an seine Parteikollegin, Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. Das Ergebnis ist bekannt: Die Freiheitlichen sind im Wesentlichen Jörg Haider geblieben, Susanne Riess (heutiger Name) blieb nicht nur Statthalterin, sondern entwickelte ein so großes Eigenleben, dass es zum Bruch zwischen den beiden, ihrem Abgang und zum vorübergehenden Absturz der FPÖ inkl. einer Spaltung (BZÖ) kam.

Wolfgang Schüssel musste nach der ÖVP-Niederlage 2006 zwar das Kanzleramt an Alfred Gusenbauer (SPÖ) abgeben, wurde jedoch Klubobmann und war damit der entscheidende Faktor der Großen Koalition. Genauer: Störfaktor. Er hatte nicht überwunden, verloren zu haben und machte daher seinem Nachfolger im Kanzleramt das Leben so schwer wie möglich. 2008 hatte er sein Ziel erreicht, die damalige Koalition war erledigt.

Als weiteres Beispiel kann man auch einen jüngeren Sebastian Kurz anführen: Nämlich jenen, der als Außenminister (!) und mit Hilfe loyaler Mitstreiter (wie dem nunmehrigen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka) alles tat, damit Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nichts zusammenbringen, also scheitern. Ziel: Die Sehnsucht nach ihm als vermeintlichem Allesbessermacher sollte sich vergrößern. Nachdem Mitterlehner das in seinem Buch „Haltung“ skizziert hat, ist das nun auch von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dokumentiert worden. So soll Kurz dafür gesorgt haben, dass Kern und Mitterlehner nicht einmal etwas Großes zur Nachmittagsbetreuung an Schulen erreichen konnten. Seine eigenen Chats untermauern diesen Verdacht.

Und jetzt? Wie hier ausgeführt, ist von der Verfassung das Parlament als (ein) Zentrum der Macht vorgesehen. Zumal der Kanzler bisher in der Regel auch Chef der größten Partei war und sich seine Fraktion eher nur als sein Erfüllungsorgan betrachtete, ist das weniger bewusst. Es kann sich aber ändern lassen: Alexander Schallenberg hat als Regierungschef eine bescheidene Machtbasis. Er kann ein Eigenleben entwickeln, wenn es Klubobmann Kurz nicht gefällt, gibt’s jedoch ein Problem. Kurz ist Obmann von Partei und Fraktion, die Schallenberg braucht, damit Gesetze beschlossen und allfällige Misstrauensanträge der Opposition abgelehnt werden; die Budgets (gewissermaßen) freigibt und bei einem allfälligen U-Ausschuss eher eine verteidigende Rolle einnimmt. Oder auch nicht. Soll heißen: Viel eher als es Kurz als Außenminister gelungen ist, Mitterlehner zu mobben, kann er das politische Ende von Alexander Schallenberg und der gesamten türkis-grünen Koalition herbeiführen.

Entscheidend ist, wie Kurz sein Amt auslegt. Es würde aber sehr überraschen, würde er sich mit einer bloß helfenden, ja dienenden Rolle begnügen. Entscheidend ist außerdem, wie es bei den Ermittlungen der WKStA weitergeht und worauf sie letzten Endes hinauslaufen. Aber das kann dauern. Noch gehen seine Getreuen, wie die eingangs zitierte Elisabeth Köstinger, davon aus, dass er als Kanzler ins Amt zurückkehren wird.

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