Kurz wärmt sich auf

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ANALYSE. Der Mann, der lediglich zur Seite getreten ist, rechnet mit seiner Rückkehr. Seine Chancen sollten nicht unterschätzt werden.

Der türkise Parteichef sehe sich plötzlich wieder im Aufwind, schreibt der „Kurier“. Immerhin seien zuletzt Ermittlungen gegen Finanzminister Gernot Blümel und dessen Vorgänger Hartwig Löger eingestellt worden, sei der ehemalige EU-Abgeordnete Richard Seeber freigesprochen worden. Was auch als Bestätigung dafür betrachtet werden könnte, dass der Rechtsstaat funktioniert, hier also keine „linken Zellen“ agieren, wird von Sebastian Kurz und Seinesgleichen anders interpretiert; wie’s ihnen gerade passt: Es soll als „Beweis“ dafür gelten, dass sich Verdachtsmomente, denen insbesondere die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) nachgeht, letzten Endes in Luft auflösen. Soll heißen: Kurz werde eines Tages rehabilitiert und gestärkt – weil „unschuldiges Opfer“ – auf die politische Bühne zurückkehren.

Man kann sich wundern darüber, dass das gerade auch von Kritikern und Gegnern des ÖVP-Vorsitzenden nicht ernst genommen wird. Es ist ernst zu nehmen. Erstens: Kein Mensch redet in Österreich (noch) von politischer Verantwortung. Einer solchen muss sich Kurz nicht mehr stellen, nachdem er zur Seite getreten ist. Der Umgang mit politischer Verantwortung, der beim Bruch von Wahlversprechen, der großen Wahlkampfkostenüberschreitung 2017 oder beim Inhalt diverser Chatprotokolle zum Ausdruck kommt, wäre jedoch allein schon Grund genug, dass sich der 35-Jährige aus sämtlichen Ämtern und Funktionen verabschieden muss. Zweitens: Kurz ist bisher jedoch durchgekommen damit, er muss lediglich als Kanzler pausieren.

Jetzt erfüllt er eine schwer fassbare Rolle: Er ist Klubobmann der größten Parlamentsfraktion, als solcher aber nicht wahrnehmbar. Man könnte sagen, er sei eher nur eine Art Ehrenobmann, der sonntags bei Veranstaltungen in der ersten Reihe sitzen darf, sonst aber nichts tun muss. Das wird einem Klubobmann nicht gerecht.

Sebastian Kurz kann’s recht sein. Ja, es kann ihm sogar sehr gut passen: Auch im Zusammenhang mit der Pandemie müsste er jetzt zur Verantwortung gezogen werden, wenn er sicht- bzw. greifbar wäre. All seine Verheißungen vom „Game Changer“ Impfung bis zur Behauptung, dass die Gesundheitskrise gemeistert sei, haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Hier ist auch seine Politik gescheitert, wie sie nur scheitern kann.

Wie gesagt: Das kann Sebastian Kurz jetzt durchtauchen. Und dann kann’s schon werden: Die ÖVP-Landeshauptleute haben ihn Anfang Oktober politisch überleben lassen. Solange es zu keiner Anklage oder Verurteilung kommt, werden sie ihn sicher nicht wegbringen und sonst auch nur unter Umständen. Wenn sich der „Opfer-Mythos“ durchsetzt, werden sie es nicht zusammenbringen. Zumal kein Alternativkandidat in Sicht ist, mit dem ein Wahlverlust viel kleiner wäre als unter seiner Führung.

Und zumal das Schlimmste aus Sicht von Kurz vorerst eben vorbei ist: Schon seit Wochen ist kein Chat mehr veröffentlicht worden. Die Empörung legt sich. Zumindest unter eigenen Anhängern gelingt es mehr und mehr, Unverständnis über anderes durchzusetzen. Der „Standard“ berichtet vom türkisen Spin, wonach ein „Inquisitionsprozess“ im Gange sei, dass schon viel zu viel aus Justizunterlagen öffentlich bekannt worden sei.

In einem Kommentar in den „Vorarlberger Nachrichten“ trägt Ex-ÖVP-Minister Jürgen Weiss ein Gegenargument vor: „Die Veröffentlichung ist jedenfalls das kleinere Übel, als wenn die nun sichtbar gewordenen Machenschaften unbemerkt weiter gegangen wären“, schreibt er. Allein: Wer das nicht erkennen mag, der erkennt es nicht.

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