ANALYSE. Warum eine „Expertenregierung“ für den ÖVP-Chef nicht besonders schmerzlich wäre. Ja, er vielmehr davon profitieren könnte.
Wenige Stunden vor Behandlung eines Misstrauensantrags gegen die ÖVP-Minderheitsregierung von Kanzler Sebastian Kurz deutet alles auf eine Mehrheit dafür hin. Man werde dem sozialdemokratischen Antrag „wohl zustimmen“, so der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer.
Sebastian Kurz kann das egal sein. Bei der Europawahl hat er seiner Partei gerade einen eindrucksvollen Triumph beschert. Die SPÖ hat ein Debakel erlitten und die Freiheitlichen haben zwar nicht ganz so stark verloren, wie in Folge der Ibiza-Affäre erwartet, aber halt doch verloren. Ausgerechnet am Tag nach einem solchen Ergebnis abgewählt zu werden, kommt alles in allem nicht gut. Insbesondere die SPÖ kann damit zwar Kurz-Gegner ansprechen; sie aber sind in der Minderheit. Und überhaupt: Wo will die SPÖ überhaupt hin?
Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hat das im ZiB2-Interview am Europawahl-Abend nicht erklären können. Obwohl sie schon länger Zeit gehabt hätte, sich das zu überlegen. Klar, falls der Bundespräsident Vorschläge für Mitglieder einer Expertenregierung haben wolle, werde man sie liefern, so Rendi-Wagner. Nach einem konkreten Plan hat sich das aber nicht angehört.
Die große Illusion ist jedoch diese: Auch eine Expertenregierung wäre auf eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene angewiesen. Womit dies absehbar wäre: Viel mehr als die ohnehin funktionierende Verwaltung laufen zu lassen, könnte diese Regierung nicht. Die ÖVP wird ihr kaum zu großen Reformen verhelfen. Bliebe eine rote-blaue Mehrheit. Sie aber würde der sozialdemokratischen Erzählung widersprechen, dass eine Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht in Frage komme.
Ein Misstrauensvotum gegen Kurz führt einzig dazu, dass er sich nicht mehr übers Kanzleramt entfalten kann. Das ist das eine. Das andere: Gerade nach diesem Europawahlergebnis könnte er auf einen Solidarisierungseffekt für ihn hoffen, ohne selbst etwas dazu beitragen zu müssen.
Was einem ÖVP-Wahlsieg im Herbst entgegenstehen soll, ist ein Rätsel: Gerade eine Minderheitsregierung würde es Kurz ermöglichen, die bewährte „Stillstandskeule“ auszupacken und damit zu werben, dass er seine Reformagenda gerne fortsetzen würde. Und das wäre insofern erfolgversprechend für ihn, als dem keine ernstzunehmende Alternative gegenübersteht; die SPÖ hat zumindest bei der Europawahl gezeigt, dass sie diesbezüglich nichts auf Lager hat.