Kurz macht einen Schüssel

ANALYSE. Wachsende Probleme mit dem Koalitionspartner müssen nicht zum Nachteil des Kanzlers und ÖVP-Chefs sein. Im Gegenteil. 

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ANALYSE. Wachsende Probleme mit dem Koalitionspartner müssen nicht zum Nachteil des Kanzlers und ÖVP-Chefs sein. Im Gegenteil.

Grundsätzlich kann das, was im Regierungsalltag so passiert, ja nicht im Sinne von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sein, wie man vielleicht meinen würde: Ganz Österreich muss plötzlich feststellen, dass deutschnationale Burschenschafter mit an die Macht gekommen sind. Vize Heinz-Christian Strache liefert einen außenpolitischen Affront nach dem anderen (zuletzt durch die Feststellung, dass der Kosovo zu Serbien gehöre). Sozialministerin Beate Hartinger-Klein verselbstständigt sich in Sachen Notstandshilfe, Innenminister Herbert Kickl hat seine Wortwahl nicht unter Kontrolle und will Flüchtlinge „konzentriert“ unterbringen, während Strache einmal mit offenen Abhörgeschichten aus seinem Büro oder nun eben einem persönlichen Angriff gegen Armin Wolf von sich reden macht.

Kurz muss angesichts dieser Verhältnisse verzweifeln. Oder auch nicht: Zum einen könnten ihm die Freiheitlichen den einen oder anderen Job erledigen; wenn sie den ORF zurechtrichten, müsste ihm das Ergebnis nicht unbedingt missfallen: Hofberichterstattung.

Abgesehen davon gibt es für einen ÖVP-Chef viel Schlimmeres als die Tatsache, dass die Freiheitlichen ins Schleudern geraten. Zuletzt gesehen hat man das in Niederösterreich: Es ist zweifelhaft, ob die Volkspartei ohne die Causa Landbauer die Absolute verteidigt hätte. Die FPÖ-Zugewinne dürften sie jedenfalls geschmälert haben. Was man daraus ableiten kann, dass viele ihrer Anhänger der Urne ferngeblieben sind.

Man sollte nicht vergessen, dass ÖVP und FPÖ einander die größten Wettbewerber sind.

Wie auch immer: Gerade weil eine schwarz-blaue Bundesregierung zustande gekommen ist, sollte man abgesehen davon nicht vergessen, dass ÖVP und FPÖ einander die größten Wettbewerber sind: Ohne Kurz hätte es Strache auf Platz eines geschafft. Und wegen des letzten Endes doch überraschend guten Ergebnisses für Strache und Co. (26 Prozent), ist die One-Man-Show Kurz nicht deutlicher in Richtung 40 Prozent gekommen.

Schon in der Vergangenheit waren ÖVP und FPÖ gewissermaßen kommunizierende Gefäße bei Nationalratswahlen: Legte die eine Partei zu, verlor die andere. Und umgekehrt. 2017 wurden zwar beide stärker, allein wäre für eine der beiden aber noch viel mehr drinnen gewesen.

Wenn’s mit den Freiheitlichen gar nicht läuft, kann Kurz in diesem Sinne noch immer auf das Beispiel Wolfgang Schüssel 2002 hoffen: Aus einem schwarz-blauen Scheitern heraus, das nach allgemeiner Wahrnehmung allein Blauen zugeschrieben wurde, schaffte Schüssel als damaliger Kanzler und ÖVP-Chef einen Wahlsieg, der größer hätte nicht ausfallen können.

Kurz unterlässt alles, was ihm eine solche Option verbauen könnte.

Sebastian Kurz unterlässt nun jedenfalls alles, was ihm eine solche Option verbauen könnte: Nach außen hin ist nicht wahrnehmbar, dass er als Krisenmanager rund um die Uhr gefordert ist; im Zweifelsfall schweigt er zu Vorgängen beim Koalitionspartner – was den Fokus allein auf diesen lenkt und Kurz quasi raushält.

Im Übrigen fällt auf, dass diese Regierung noch kein Reformprojekt angegangen ist, an dem sie – und damit auch der Kanzler – scheitern könnte: Strengere Sexualstrafbestimmungen, eigene Deutschklassen, Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags und Einführung des Familienbonus sind vielmehr Maßnahmen, die sich leicht umsetzen lassen; und die bei einer Mehrheit vor allem gut ankommen. Womit man jederzeit in eine Wahl gehen könnte; was zumindest eine ganz gute Absicherung für den Fall des Falles ist.

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