Kurz lässt sich abspeisen

ANALYSE. So konsequent der Kanzler und ÖVP-Chef zunächst gegen freiheitliche Verbindungen zu Identitären aufgetreten ist, so schnell gab er sich zufrieden. Das könnte sich rächen.

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Wer hat nicht über die Deutlichkeit gestaunt, mit der Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz eine Distanzierung der Freiheitlichen von der Identitären Bewegung gefordert hat; und zwar bis hinunter auf die Mitarbeiterebene? Rechtsextreme haben sich darüber empört, nicht wenige vermuteten ein rein EU-wahlkampfbedingtes Manöver dahinter und Vizekanzler, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache war zunächst von der Rolle – vom Regierungspartner, der sich bisher an „nicht streiten“ gehalten hat, hatte er das nicht erwartet.

Was ein bisschen untergegangen ist bei alledem, ist dies: Sebastian Kurz hat mit seinen Äußerungen ein paar Pflöcke eingeschlagen, die auch für ihn selbst bindend geworden sind. Zum Beispiel: Rechtsextremismus geht in dieser Koalition gar nicht; daran darf man nicht einmal anstreifen.

Strache spricht von linker Hetzkampagne. Dabei ist die Forderung von Kurz gekommen. 

Und wenn man es tut, was dann? Wenn es Kurz wirklich so gemeint hat, hätte er naturgemäß auch entsprechend glaubwürdige Schritte verlangen müssen. Allein: Er hat sich ohne ebensolche zufriedengegeben und sich mit ein paar Worten begnügt, die Strache auf dem Landesparteitag der oberösterreichischen FPÖ gesprochen hat. Um nicht missverstanden zu werden: Strache hätte es durchaus ernst meinen können mit dem Hinweis, „dass jemand, der aktiv bei der Identitären Bewegung ist, keine Funktion innerhalb der Freiheitlichen Partei einnehmen kann“. Zweifel an der Ernsthaftigkeit sind jedoch angebracht: Eingeleitet hat er diesen Hinweis laut Originaltext-Aussendung damit, dass es notwendig sei, einer linken Hetzkampagne entgegenzutreten. Das ist seltsam: Gefordert hatten dies vor allem Sebastian Kurz.

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Wie auch immer: Zwischen Straches Aussage auf dem Landesparteitag und einer Aussendung des Kanzlers und ÖVP-Obmannes, in der sich dieser mit Straches Distanzierung zufriedengibt, erschien – laut Hinweis beim Text um 15.12 Uhr – auf unzensuriert.at ein Artikel, in dem der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier attackiert wird, die Identitären als „ganz übel rechtsextremistisch“, widerlich und so weiter und so fort beschimpft zu haben. Zumal die Website vorzugsweise freiheitliche Politik transportiert, zeigt das, wie tief drinnen die blaue Zuneigung zu den äußerst Rechten steckt, die zunächst im Übrigen vom Kanzler höchstpersönlich als widerlich empfunden worden sind: Da ist mit ein paar Sätzen der Distanzierung von Heinz-Christian Starche noch lange nicht alles klargestellt.

Damit würde sich der Kanzler nur noch lächerlich machen.

Zumal eben noch so vieles offen ist. Die Historikerkommission, die die FPÖ vor mehr als einem Jahr in Folge der Liederbuchaffäre bei der Germania zur Aufarbeitung ihrer Geschichte angekündigt hat, hat bisher keine Ergebnisse geliefert. Schon das muss daran zweifeln lassen, dass es Strache ernst meint. Genauso wie dessen peinlicher Versuch, seine wohlwollenden Äußerungen zu den Identitären aus der Vergangenheit dadurch vergessen zu machen, dass er sie auf sozialen Medien löscht. Sprich: Der Mann steht nicht einmal dazu. Und das wiederum ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine echte Besserung.

Soll heißen: So konsequent sich Kurz bis vor wenigen Tagen gegeben hat, so schnell hat er sich abspeisen lassen. Womit er sich ein Problem für die nächste Affäre vom Typ Liederbuch, Identitäre etc. eingehandelt hat. Was dann? Das Ganze noch einmal? Damit würde sich der Kanzler nur noch lächerlich machen.

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