Kurz‘ Kartenhaus

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ANALYSE. Österreich bekommt immer größere Probleme, in der Pandemie und auch wirtschaftlich. Zur Ablenkung taugt nicht einmal mehr Symbolpolitik.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Montag das Kunststück zusammengebracht, die Lockerung eines Lockdowns anzukündigen und zugleich zu erklären, dass ein exponentielles Wachstum bestätigter Neuinfektionen ein realistisches Szenario sei. Das ist ungefähr so, als würde man die Feuerwehrleute nach einem Löscheinsatz nach Hause schicken, aber betonen, dass es jederzeit wieder zu einem Volllbrand kommen könnte. Logisch ist es nicht. Und natürlich gibt es Menschen, die die Wirksamkeit von Lockdowns bezweifeln. Wenn Kurz zu diesen zählen würde, würde er jedoch keinen weiteren mehr in Aussicht stellen.

Das Kanzler hat sich verrannt, er ist ein Mann für Populäres, also nicht für die Bewältigung dieser Krise: Zunächst konnte er mit klarer Kommunikation punkten. Mit wachsender Ungeduld in der Bevölkerung konnte er aber nicht mehr fertigwerden. Daher versuchte er ihr nur insofern gerecht zu werden, als er bereits am 13. Juni auf Facebook erklärte, dass „die gesundheitlichen Folgen der Krise überstanden“ seien; oder als er nach wieder steigenden Zahlen in einer Rede am 28. August verhieß, dass es ein Licht am Ende des Tunnels bzw. eine Rückkehr zu Normalität im kommenden Sommer geben werde; oder als er am 27. Dezember die Corona-Impfungen als „Game-Changer“ darstellte.  Das waren durchwegs Versuche, die schwierige Gegenwart wenn schon nicht vergessen, so zumindest erträglicher zu machen.

Heute weiß man: Es ist noch lange nicht aus. Und das kann man bei weitem nicht nur Sebastian Kurz allein anlasten. Sein Problem ist jedoch, dass er sich damit nicht abfinden möchte; weil er den Leuten dann nämlich schlechte Nachrichten übermitteln müsste und nicht mit der Aussicht auf möglicherweise ohnehin nur vorübergehende Lockerungen des mittlerweile dritten Lockdowns kommen könnte.

Bei aktuellen Einschätzungen von Experten könnte einem schlecht werden, um es ganz offen zu sagen: Wegen der Ansteckungen mit Mutationen regt der Prognoseforscher Peter Klimek in der „Presse“ eine Quarantänepflicht für Reisende aus Tirol an. Im „Standard“ meint die Virologin Dorothee von Laer von der Medizinischen Universität Innsbruck, man sollte die Grenzen rund um das Land möglichst dicht machen: „Noch kann man die Ausbreitung dieser Variante vielleicht verlangsamen und zumindest Zeit gewinnen.“

Selbst wenn das alles übertrieben wäre: Man kann nicht oft genug wiederholen, dass ein exponentielles Wachstum laut Sebastian Kurz realistisch ist und dass es dann einen vierten Lockdown geben würde. Diese Botschaft hat auch etwas Entlarvendes: Gemeinsam mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), übrigen Regierungsmitgliedern sowie Ländervertretern lässt es die Politik jetzt einfach nur noch darauf ankommen.

Für den Kanzler und ÖVP-Chef bricht ein Kartenhaus zusammen: Sein Erfolg beruhte nicht nur auf seiner Flüchtlingspolitik, sondern auch auf einer passablen Wirtschaftslage. Da konnte er sich mit Ankündigungen, die gut klangen und ohnehin von kaum jemandem abgeklopft werden, eher begnügen; konnte keine Pensionsreform durchführen, aber gleichzeitig versprechen, die Steuer- und Abgabenquote spürbar zu senken – also steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen riskieren.

Das geht nicht mehr: Österreichs Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Jahr um sieben Prozent eingebrochen und wird heuer kaum wachsen; vor allem, wenn es zu einem vierten Lockdown kommt. Das macht längerfristige, wirklich strukturelle Veränderungen nötig, zu denen zwar Martin Kocher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einige Varianten im Kopf hätte, der aber „nur“ Arbeitsminister mit beschränken Kompetenzen ist. Das Wirtschafts- und das Finanzministerium werden lediglich von Statthaltern türkiser Machtinteressen geführt.

Da helfen nicht einmal mehr Inszenierung, Show und anderes Blendwerk. Siehe Ankündigung von Kurz, einen Straftatbestand „politischer Islam“ zu schaffen. Stellungnahmen von Rechtsanwaltskammer, Richtervereinigung und anderen Instanzen zum vorliegenden Begutachtungsentwurf machen deutlich, dass es de facto zu keiner Gesetzesänderung kommt. Andererseits: Viel mehr als eine Ankündigung war vielleicht ohnehin nie geplant.

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