Koalitionsfrage

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ANALYSE. Werner Kogler und Co. haben zu spät auf die Abschiebungen reagiert. Allmählich wachen sie auf, müssen jedoch erkennen, dass ein paar kritische Worte nicht mehr reichen. Sie müssen aufs Ganze gehen.

Unter normalen Umständen wäre das ein Hammer: Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler vermisst beim Koalitionspartner „Gefühl, Herz und Hirn“, wie er in der Sendung „Vorarlberg live“ wissen lässt. Mittlerweile würden er und seine Freunde eher christliche Werte vertreten als die Türkisen: Das Ganze ist eine Reaktion auf die Abschiebung integrierter Kinder vergangene Woche, die laut Kogler zur Konsequenz haben sollte, dass gar keine Kinder mehr abgeschoben werden.

Ungefähr zeitgleich sagte Grünen-Klobobfrau Sigrid Maurer im ORF-Report vor noch größerem Publikum ähnliches. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) habe mit den Abschiebungen bzw. der „Inszenierung mit der WEGA und mit Polizeistaffeln“ offenbar von anderen Themen (BVT-Affären) ablenken wollen. Immerhin aber würden viele ÖVP-Wähler diesen „Kurs der Kälte“ ablehnen und nun bei den Grünen anklopfen.

🔥Vizekanzler @WKogler vermisst beim Koalitionspartner ÖVP wörtlich "Gefühl, Herz und Hirn“ – vor allem dann, wenn es um die Abschiebung von Kindern geht. Im Interview mit #VorarlbergLive ließ er keine Klarheit vermissen. (1/5) pic.twitter.com/AnNCYI9JM3

— Gerold Riedmann (@gerold_rie) February 2, 2021

Und jetzt? Fangen wir von hinten an: Selbstverständlich gibt es alte Schwarze, die in der Flüchtlingspolitik den Grünen (oder Pinken) näher stehen als den Türkisen. Nicht wenige von ihnen dürften zumindest bei Nationalratswahlen 2017 und 2019 aber schon das Weite gesucht haben. Was Maurer hier versucht, ist gut gemeint, aber wirkungslos: Die Türkisen von Sebastian Kurz betreiben genau die Flüchtlingspolitik, für die sie von hunderttausenden Menschen und darunter wiederum sehr vielen Ex-FPÖ-Anhängern unterstützt werden. Zweitens: Den schwarzen Landeshauptleuten ist Flüchtlingspolitik nicht wichtig genug, um ein ernstes Wort mit Sebastian Kurz zu reden. Das kann man bedauern, ist aber so.

Wirklich dramatisch für die Grünen ist nun aber, dass da besonders Kogler versucht hat, auf den Tisch zu hauen – und nichts passiert. In sozialen Medien gibt es keine Welle in seinem Sinne, nichts. Mögliche Erklärung: Die Zahl derer, die das nicht mehr ernst nehmen, ist groß geworden. Mögliche Gründe: Alle Welt hat gehört, wie Kurz schon bei den Koalitionsverhandlungen gesagt hat, dass er seine Flüchtlingspolitik fortsetzen werde; dass sich die Grünen mit dem „Besten aus beiden Welten“ darauf eingelassen haben; dass sie schon nach Moria nichts ausrichten konnten; und dass sie nun erst nach diesen absehbaren Abschiebungen deutlicher geworden sind.

Jetzt bahnt sich eine noch größere Probe für die Grünen an: Kogler kann nicht anders, er muss zur Aktion schreiten. Allein: Das zwingt ihn auch zu Ergebnissen. Sonst ist er doppelt blamiert. Sprich: Wenn schon nicht einmal mehr seine harte Kritik am Koalitionspartner gehört wird, muss er einen Koalitionsausschuss (öffentlich sichtbare Krisensitzung) durchsetzen oder rote Linien markieren, die klar machen, was sich die Türkisen mit den Grünen im Sinne der Unteilbarkeit der Menschenrechte und weiterer Prinzipien leisten dürfen und was nicht (sofern ihnen an der Zusammenarbeit überhaupt etwas gelegen ist). Das könnte seine Glaubwürdigkeit vielleicht noch retten.

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