Kurz‘ erste Krise

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ANALYSE. Für den ÖVP-Chef ist es schwer geworden, zu erklären, warum ausgerechnet seine Partei das Finanz-, das Wirtschafts- und das Innenministerium führen muss.

Politik ist zumindest in dieser Hinsicht wie ein Fußball- oder Tennisspiel: Die Verhältnisse können sich ziemlich schnell ändern. Aus einer „fixen“ Niederlage kann plötzlich ein möglicher Sieg werden. Oder umgekehrt. Siehe Koalitionsverhandlungen: Wahlsieger Sebastian Kurz hat Stand heute, 18. November, viel mehr Probleme als ihm lieb sein kann.

Wo soll man anfangen? Der Finanzminister, der eine Budgetwende und damit einen der größten Erfolge der Regierung Kurz I zustande gebracht haben soll, steht nicht mehr zur Verfügung. Ja, er wird mehr und mehr in eine Postenschacher- und (mutmaßlich auch) Korruptionsaffäre hineingezogen, die im konkreten Fall von der FPÖ ausgegangen ist, bei der die ÖVP ganz offensichtlich aber mitgespielt haben dürfte. Und das haut wiederum alles Gerede von „neuer Politik“, „Wirtschaftskompetenz“ und dergleichen über den Haufen: Unter türkisem Anstrich verbergen sich alter Stil und Wettbewerbsfeindlichkeit insofern, als nicht die Besten der Besten zum Zug kommen, sondern diejenigen mit der jeweils passenden Parteizugehörigkeit.

Ja, Kurz wird unter diesen Umständen erpressbar bei den Koalitionsverhandlungen: Die Grünen könnten genau diese eindrucksvollen Beispiele hernehmen, um zu sagen, jetzt sei „klar, warum die ÖVP sowohl Wirtschafts- als auch Finanzministerium unbedingt behalten will. Aber sorry, ganz Österreich sieht, wohin das führt. Also Schluss damit!“

Okay, das ist zu absehbar bei den Verhandlungen: Also wird Kurz wohl eher von sich aus ein paar Vorschläge machen, wie zum Beispiel Postenschacher in Zukunft unterbunden werden kann. Das wäre dann immerhin Schadensbegrenzung für die ÖVP: Sie würde vielleicht weiter die politische Verantwortung tragen, könnte aber nicht mehr so weitermachen wie bisher.

Schmerzlich für Sebastian Kurz ist, dass es eine ähnliche Entwicklung auch in Sicherheitsfragen gibt, der eigenen Angaben zufolge zweiten Kernkompetenz der ÖVP: Vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sind gerade haarsträubende Sicherheitsmängel bekannt geworden. Nicht anzunehmen, dass sie sich ausschließlich in den eineinhalb Jahren freiheitlicher Ressortführung ergeben haben. Man muss viel eher davon ausgehen, dass sich Missstände auch unter langjähriger ÖVP-Herrschaft zuvor entwickelt haben. Sprich: Sogar hier könnten die Grünen verlangen, dass zumindest eine unabhängige Ministerin, ein unabhängiger Minister kommen muss. Die ÖVP könnte schwer dagegen argumentieren.

Ausweg für Kurz? Ohne all die Affären könnte er ja immer noch mit den Freiheitlichen koalieren oder eine Minderheitsregierung riskieren. So aber ist für ihn beides schwieriger geworden.

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