Koalition in der Nachspielzeit

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ANALYSE. Der Bundespräsident irrt: Die Krise ist nicht beendet. Selbst wenn sich Kurz in absehbarer Zeit ganz zurückziehen sollte, ist von baldigen Neuwahlen auszugehen.

„Als Bundespräsident möchte ich mich in aller Form für das Bild entschuldigen, das die Regierung hier abgegeben hat“, sagte Alexander Van der Bellen am Sonntagabend in einer Rede. Das war beschämend für die Akteure, die den Schaden angerichtet hatten. Sebastian Kurz fand kein ernsthaftes Wort des Bedauerns, er führte einzelne Äußerungen (wie „Arsch“) eher nur auf Emotionen und eine angebliche „Hitze des Gefechts“ zurück. Botschaft: Es ist aus meinem Inneren gekommen, ich kann nichts dafür.

Dass sich nun also Van der Bellen hinstellen und gewissermaßen Verantwortung übernehmen musste, rundet einen Gesamteindruck ab: Kurz und seine engsten Vertrauten sind in wesentlichen Teilen ihrer Persönlichkeit nicht erwachsen. Also muss sich das Staatsoberhaupt hinstellen, und sich für Vorfälle entschuldigen – wie ein Vater für seine Zwei-, Dreijährigen, die etwas Schwerwiegendes angerichtet haben.

Im Übrigen erklärte Alexander Van der Bellen, dass die Regierungskrise vorbei sei. Natürlich: Nachdem Kurz als Kanzler zurückgetreten ist, Alexander Schallenberg übernommen hat, Michael Linhart diesem als Außenminister nachgefolgt ist und die Grünen wieder Handlungsfähigkeit erkennen, ist das Gröbste überwunden. Schlimmeres wird jedoch folgen.

Das Problem ist nicht nur, dass Sebastian Kurz ÖVP-Chef bleibt und künftig Klubobmann sein wird; dass er also in Wahrheit den größeren Teil der Regierung weiterhin führt und selbst davon ausgeht, bald wieder ins Kanzleramt zurückkehren zu können. Das Problem ist viel umfassender.

Erstens. Die ÖVP-Regierungsriege bleibt auch von ihrem Selbstverständnis her eine Kurz-Partie. Man will hier keine Namen nennen, aber bei einzelnen Mitgliedern ist man geneigt, sich die Frage zu stellen, ob sie selbst schon einmal eigenständige Vorstellungen für ganz konkrete Maßnahmen entwickelt haben. Das ist nicht böse, sondern traurig. Die Regel ist, dass sie sich von Kurz und dessen „Message Control“-Abteilung steuern ließen.

Zweitens: Selbst wenn sie könnten, wäre Eigenständigkeit nun schwer zu erlangen für sie. Kurz bleibt ja ÖVP-Chef, ist künftig zudem Klubobmann. Außerdem: Auch die Stäbe von Regierungsmitgliedern sind mit Vertrauten von ihm bestzt bzw. kontrolliert.

Drittens: All diese Leute werden den Grünen eher nicht dankbar dafür sein, den Rücktritt von Kurz als Kanzler erwirkt zu haben. Im Gegenteil. Rache liegt in der Luft.

Viertens: Affären werden bleiben. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ist ja noch immer Beschuldigter in der Casinos Affäre. Es werden weiterhin belastende Chats auftauchen, zumal auch ein U-Ausschuss zu den türkisen Affären kommen wird. Unter anderem aus Grünen-Sicht wird sich immer wieder die Frage nach der Handlungsfähigkeit des Koalitionspartners stellen.

Fünftens: Die ÖVP wird in den nächsten Wochen in den Umfragen abstürzen. Und zwar auch in den seriösen. Alles andere wäre eine Überraschung. Das wird in der Partei Dynamiken auslösen, die „un-“ sind: unvorhersehbar und unkontrollierbar.

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