Kickl und Mehrheit

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ANALYSE. Was der FPÖ-Chef als Mehrheit darstellt, ist nichts anderes als der Versuch, gegen eine solche zu mobilisieren.

Demokratie darf keine Diktatur der Mehrheit über eine Minderheit sein; insofern jedenfalls, als sie zum Beispiel grundlegende Bestimmungen wie Menschenrechte respektieren muss. Umgekehrt darf Demokratie auch keine Diktatur einer Minderheit über eine Mehrheit sein; zumal sie einer solchen dann nahekommt. FPÖ-Chef Herbert Kickl versucht’s trotzdem.

Bei seiner jüngsten Pressekonferenz mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel präsentierte er sich einmal mehr als „Volkskanzler“-Kandidat, behauptete in Übereinstimmung mit dieser, dass eine Politik gegen „die Mehrheit der Menschen“ gemacht werde, sprach von einem „Ökokommunismus“ und einem „Wirtschaftskrieg gegen Russland“.

Es ist alles zusammen absurd. Bei Erhebungen zu einer fiktiven Kanzlerdirektwahl gibt regelmäßig nur ein Fünftel, also eine Minderheit, an, dass sie ihm seine Stimme geben würde. (Dass es sich da und dort trotzdem um eine relative Mehrheit handelt, ist eine andere Geschichte, die lediglich zum Ausdruck bringt, wie schwach die Konkurrenz ist.)

Kickl und „Volkskanzler“, Teil 2: Eine Minderheit von etwa einem Viertel (27 Prozent) vertraut ihm laut OGM-Erhebung für den APA/OGM-Vertrauensindex. Mehr als zwei Drittel (70 Prozent) misstrauen ihm.

Doch der Mann kommt daher und behauptet, er stehe für eine Mehrheit. Wenn er von einer Politik gegen eine Mehrheit der Menschen spricht, meint er damit etwa Coronamaßnahmen. In Wirklichkeit ist aber selbst die Impfpflicht im Herbst 2021 von bis zu 52 Prozent unterstützt worden. Oder die Klimapolitik: Laut jüngstem Eurobarometer finden 51 Prozent der Österreicher:innen – wie hier berichtet -, dass die türkis-grüne (!) Bundesregierung zu wenig tue. Nur 17 Prozent sehen zu viel Klimapolitik.

Das ist das Sechstel, zu dem Herbert Kickl vermittelt, es handle sich um eine Mehrheit. Unfreiwillig komisch? Ja und zugleich vor allem nein: Es mag sich um eine Minderheit gehandelt haben oder handeln, die Impfpflicht und Klimapolitik ablehnen. Aus unterschiedlichen Gründen gibt es unter ihnen aber einen harten Kern, der Türkise und Grüne, aber auch Rote und Pinke, die diesen zustimm(t)en, verachtet dafür. Das ist ein hartes Wort, soll aber unterstreichen, worum es hier geht: Solche Leute lassen sich mobilisieren. Vor allem, wenn man behauptet, sie seien in der Mehrheit. Dann ist der härteste Kern des harten Kerns nicht mehr zu halten.

Herbert Kickls Kalkül ist, dass ihm das helfen könnte, Bundeskanzler zu werden, um nach demselben Muster als „Volkskanzler“ zu agieren, der, je nachdem, wie es ihm gefällt, einen Mehrheitswillen behauptet und entsprechendes dann mit Hilfe einer willfährigen parlamentarischen Mehrheit umsetzt. Eine solche muss er erst finden. Doch das ist eine andere Geschichte.

PS: Zwischendurch sprach Kickl ja noch von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland. Natürlich, es gibt Sanktionen. Österreich hat für Importe aber noch nie so viel nach Russland überwiesen wie heute. Man könnte auch sagen: Mit Österreich hat Russland noch nie ein so tolles Geschäft gemacht aufgrund der hohen Gaspreise.

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