ANALYSE. Warum der FPÖ Platz eins bei der Nationalratswahl in diesem Jahr so schwer zu nehmen ist – und auch ein Kanzlerduell nichts daran ändert.
Vor 20 Jahren wären die Voraussetzungen für Karl Nehammer (ÖVP), ein „Kanzlerduell“ zwischen ihm und FPÖ-Chef Herbert Kickl auszurufen und damit Erfolg zu haben, besser gewesen. Er hätte davon ausgehen können, dass Kickl gleich einmal verliert. Aus dem einfachen Grund nämlich, dass die Vorstellung, er könnte für eine Kanzlerschaft auch nur infrage kommen, einen Teil seiner Anhängerinnen und Anhänger abgeschreckt hätte. Wie Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache wäre er ja eher nur als ziemlich allgemeine Absage an Bestehendes unterstützt worden, nicht aber als potenzieller Regierungschef. Das war jedenfalls ein Schwachpunkt von Haider und Strache, dem sie dadurch zu begegnen versuchten, dass sie sich bisweilen staatstragend gaben.
Zu den auffallendsten Phänomenen heute zählt, dass Kickl derlei nicht nötig hat. Dass er, im Gegenteil, offen als Kanzlerkandidat auftritt und zugleich eher noch radikaler wird, indem er sämtliche Mitbewerber als „Volksverräter“ bezeichnet und namhafte auf eine „Fahndungsliste“ setzt.
Mögliche Erklärungen weisen darauf hin, wie alarmierend die politischen Verhältnisse sind: Kickl wird schon auch als Absage unterstützt. In seinem Fall handelt es sich aber um eine explizite Absage an „das System“, worunter eine verfassungsmäßige Ordnung mit Regierung, Parlament und Rechtsstaat verstanden werden kann.
Aus unterschiedlichen Gründen sprechen rund 30 Prozent der österreichischen Wählerinnen und Wähler darauf an: Die einen haben sich unter Sebastian Kurz doch noch einmal Hoffnungen gemacht und sind dann umso stärker enttäuscht worden. Mehr noch haben in all den Krisen seit Corona und verstärkt durch Kickl ein Gefühl entwickelt, dass Regierende nicht in ihrem Sinne handeln würden oder dass sie von diesen mit ihren Sorgen überhaupt hängen gelassen werden.
Was Kickl letzten Endes wiederum insofern zu seinen Gunsten aufgreift: Er stellt Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten das Bild einer Festung Österreich entgegen, in der der Vorstellung nach alles beschaulich ist und nichts passieren kann; geradezu paradiesisch. Und: Er bietet sich nicht als Kanzler an; das könnte ihm schaden. Er bietet sich als Volkskanzler an, der der Illusion entspricht, ein Kanzler könne die Wünsche aller Bürgerinnen und Bürger erfüllen.
Von daher hat Kickl auch für genau das vorgesorgt, was absehbar war: Dass eines Tages jemand, wie jetzt Karl Nehammer, auftritt, und glaubt, er könne ihn schwächen, wenn er ihn vor einer Nationalratswahl zu einem Kanzlerduell auffordert. Er hat es so vorbereitet, dass es zu einer Entscheidung zwischen einem Kanzler und einem Volkskanzler kommt und zumindest FPÖ-Anhänger bereits wissen, was sie wollen.