ANALYSE. Der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende versucht, Kurz und Strache Themen wegzuschnappen. Ob das gut geht, ist fraglich.
Mit Christian Kern als Kanzler und SPÖ-Vorsitzendem tauchte in der österreichischen Politik auch ein – bis dahin nur Insidern bekannter – Begriff auf: Framing. Immerhin hatte er versucht, neue Themen zu setzen und damit auch neue Perspektiven zu eröffnen. Beispiel Flüchtlingskrise. Botschaft: „Reden wir nicht andauernd über Probleme, sondern gehen wir die Integration an. Ja, krempeln wir überhaupt die Ärmel hoch und blicken entschlossen in die Zukunft. Unternehmertum ist in diesem Sinne ganz besonders gefragt, also her mit mehr Start-Ups. …“
So schaut die Welt schon weniger schlecht aus. Nicht so düster jedenfalls, wie sie von Heinz-Christian Strache unentwegt gezeichnet wird. Strache ist damit zwar erfolgreich, eine Leistung ist das jedoch nicht, wie Kern vor dem Sommer feststellte, als er den FPÖ-Chef denn auch mehrfach attackierte.
Den schnellen Erfolg brachte all das dem Sozialdemokraten nicht. Seine persönlichen Umfragewerte mögen gut sein, die seiner Partei haben sich jedoch kaum bewegt. Vielleicht ist das denn auch der Grund dafür, dass Kern nun eine Kursänderung vollzogen hat. Stichwort Türkei: Als Außenpolitiker qualifiziere er sich da nicht wirklich, stellt das „Wirtschaftsblatt“ fest: „Aber das war wohl auch nicht die Absicht.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ sieht die „verbale Kraftmeierei“ innenpolitisch motiviert; es ist demnach der Versuch, der FPÖ Herr zu werden. Ob das gut gehen kann, ist jedoch fraglich.
Auf der Bühne stehen dieser Tage die drei Herren, die auch den kommenden Nationalratswahlkampf dominieren dürften; sie spielen die Hauptrollen in ein und demselben Stück: Kern, Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und eben Strache versuchen sich gegen die Türkei zu profilieren. Um jeden Preis.
Den laufenden Akt leitete Kern mit der Botschaft ein, dass die Türkei in den kommenden Jahrzehnten wohl nicht der EU beitreten könne. „Man muss da der Realität ins Gesicht sehen: Die Beitrittsverhandlungen sind derzeit nicht mehr als eine Fiktion. Europa braucht einen neuen Weg“, diktierte er der „Presse“. Woraufhin sich Strache „erfreut“ zeigte, „dass Kern mich kopiert“; und sich Kurz gezwungen sah, noch eins draufzusetzen und anzukündigen, dass er im Außenministerrat ein Veto gegen die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel einlegen werde.
Da kommt ein Wettbewerb darüber in Gang, wer denn gegenüber der Türkei noch „härter“ auftritt. Und das wir letzten Endes immer Kurz und viel mehr noch Strache eher möglich sein.
Genau das lässt schon erahnen, worin Kerns Problem besteht: Da kommt ein Wettbewerb darüber in Gang, wer denn gegenüber der Türkei noch „härter“ auftritt. Und das wir letzten Endes immer Kurz und viel mehr noch Strache eher möglich sein. Grund: Kern ist der Kanzler. Also der Chef der Regierung: Wenn einer seinen Worten Taten folgen lassen kann, dann er. Am wenigsten tun kann (und muss) das Strache als Oppositionsvertreter; von einem solchen erwartet niemand, dass er etwas durchsetzen kann, bei ihm genügt es, dass er sagt, was viele denken.
Kerns Kursänderung ist nicht nur für ihn selbst, sondern naturgemäß auch die SPÖ und die gesamte Außenpolitik riskant: Der Sozialdemokratie droht wieder eine Zerreißprobe, wie sie mit dem Abgang von Werner Faymann überwunden schien (dafür spricht auch der Rechtskurs, den ihr Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil in der Flüchtlingspolitik unbeirrt fortsetzt). Und auch im Verhältnis mit anderen europäischen Ländern, darunter insbesondere Deutschland, das mit dem rot-weiß-roten Anti-Türkei-Kurs gar nichts anfangen kann, droht wieder ein so gespanntes Verhältnis wie im vergangenen Frühjahr – aus dem im schlimmsten Fall eine Isolierung resultieren könnte.