Kapitalismus? Sozialismus!

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ANALYSE. Ergebnisse einer Gallup-Erhebung zeigen, warum Andreas Babler auch für Türkise und Blaue ein ernstzunehmender Mitbewerber ist. In zahlreichen Fragen tickt eine Mehrheit deutlich links. Das kommt nicht irgendwoher.

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker wird schon wissen, warum er in Anspielung an den neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler von nordkoreanischen Verhältnissen spricht. Er könnte sich dessen bewusst sein, dass eine Mehrheit der Menschen in Österreich Kommunismus ablehnen, Sozialismus, der Babler entsprechen könnte, jedoch eher schätzen als Kapitalismus, der – zumindest von ihrer theoretischen Ausrichtung her – der Volkspartei nahekommen müsste. Klingt seltsam, ist aber so. Im Klartext: Babler ist auch für Türkise – und Blaue – ein ernstzunehmender Mitbewerber. Stocker glaubt, ihn nur mit der Nordkorea-Keule beschädigen zu können.

Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat gerade Haltungen der Menschen in Österreich erkundet. Und da ist wirklich das herausgekommen: Fast zwei Drittel finden „Sozialismus“ als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sehr oder eher positiv. Bei „Kapitalismus“ handelt es sich nur um ein Drittel und bei „Kommunismus“ gar nur um 15 Prozent.

Bei alledem muss man natürlich bedenken, dass es unterschiedliche Vorstellungen davon geben dürfte, was Kommunismus, Kapitalismus und Sozialismus bedeuten. Antworten auf zahlreiche Fragen zeigen jedoch, das sehr viele Menschen in sehr vielen Fragen eher links stehen.

Keine Rede davon, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, am besten allein auf seine Leistung setzt und einfach nur Pech hat, wenn es nicht reicht, um es zugespitzt zu formulieren. Keine Spur von schlankem Staat: 82 Prozent sind für eine Erhöhung der Mindestpension, 80 Prozent für einen Ausbau des sozialen Wohnbaus, 73 Prozent für die Einführung einer „Reichensteuer für Vermögen ab einer Million Euro“, 71 Prozent für eine Handelspolitik, die auch den ärmsten Ländern die Möglichkeit gibt, sich wirtschaftlich zu entwickeln und so weiter und so fort. Erwähnenswert vielleicht noch: 66 Prozent befürworten eine höhere Profitsteuer für Unternehmen, immerhin 57 Prozent eine 30-Stunden-Woche (!) bei vollem Lohnausgleich. Und 70 Prozent würden eine klassenlose Gesellschaft begrüßen.

Überrascht das? Nein. Auch die ÖVP verzichtet seit Jahren darauf, von einem schlanken Staat zu reden, wie es ihr früherer Obmann Wolfgang Schüssel noch getan hat. Gemeinsam mit den Freiheitlichen hat sie das Versicherungsprinzip in der Pensionsversicherung weiter relativiert und die Mindestpension angehoben. Über Kammern und gegenüber ihren Zielgruppen praktiziert sie in Wirklichkeit sogar einen extrem starken Staat, der in Zeiten von Krisen mehr denn je eingreift und – laut Rechnungshof – sogar zu „Überförderungen“ schreitet.

Ein Unterschied zu Andreas Babler besteht darin: Seine Zielgruppe ist zum einen eine Masse unselbstständig Beschäftigter; und er betont, dass sie kein Recht auf Gnadenakte, sondern Anspruch auf fixe Leistungen bzw. eine Absicherung hätten. „Ihr seid keine Bittsteller“, ruft er ihnen immer wieder zu.

Das sollte man wohl im Kontext damit sehen: Geschätzte 30, 40 Prozent der Österreicher:innen nehmen aufgrund der Teuerung einen sozialen Abstieg war oder befürchten einen solchen. Diese Aussage basiert unter anderem auf Befragungen der Statistik Austria zu Krisenfolgen, bei denen etwa ein stark wachsender Teil der Haushalte angibt, dass Wohnkosten eine schwere Belastung seien und/oder eine einwöchige Urlaubsreise für alle Mitbewohner nicht leistbar sei.

Man macht es sich zu einfach, wenn man einwendet, dass das Behauptungen seien und es in Wirklichkeit schon viel schlimmere Zeiten gegeben habe. Es geht darum, dass man sich nicht darüber wundern sollte, wenn mehr und mehr Menschen auf Politiker ansprechen, die sie im Gefühl bestärken, dass sie von Regierenden hängen gelassen werden; oder auf Politiker, die ihnen zumindest durch ihr Reden Würde verleihen und ihnen – frei nach Christian Kern – versprechen, für sie zu holen, was ihnen zustehe.

Punkt, Absatz. Das Ganze ist vielschichtiger. Auch wenn zwei Personen durchaus ähnliche Vorstellungen von Sozialpolitik haben, können sie so unterschiedlich ticken, dass der eine SPÖ- und der anderen FPÖ-Anhänger ist. Zu Fragen von Asyl und Integration können ihre Haltungen divergieren. Auch das legt die erwähnte Gallup-Erhebung nahe: Nur jeweils 27 Prozent der Menschen in Österreich sind demnach für sichere Fluchtwege nach Europa oder ein Wahlrecht für alle, die mehr als ein Jahr hierzulande leben. Man könnte auch sagen: Wenn die Rede darauf kommt, steht eine Mehrheit nach gängiger Zuordnung rechts. Dann wird es für einen wie Babler auch deshalb schwer, sich zu behaupten, weil es hier um Bilder und Framings geht, die über die Jahrzehnte durch Blaue und zuletzt Türkise so stark geprägt wurden, das sie alternativlos wirken.

Soll heißen: Entscheidend werden könnte letzten Endes, wer die Themensetzung gewinnt. Und da geht es nicht nur um reale Probleme. Sondern auch darum, was sich daraus machen lässt, wo Medien mitspielen und so weiter und so fort.

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