ANALYSE. Für die SPÖ und Michael Ludwig ist die Auseinandersetzung mit engagierten Jugendlichen in der Bundeshauptstadt eine Katastrophe – die aber nicht irgendwoher kommt.
Das Nachrichtenmagazin „profil“ hat dieser Tage für einen Newsletter sogar ein Cover aus den frühen 1980er Jahren ausgepackt: Zu sehen ist eine Frau mit blutigem Gesicht, dazu die Worte „KRIEG in der Au“. Genau: Es ging um Hainburg bzw. die Eskalation zwischen Leuten, die die Errichtung eines Wasserkraftwerkes verhindern wollten und einem SPÖ-geführten Staat (Kanzler: Fred Sinowatz), der das Projekt mit Polizeigewalt durchsetzen wollte.
Heute – und darauf bezieht sich dieser Newsletter – geht es um Menschen, die die Errichtung einer Straße in Wien-Donaustadt verhindern wollen. Einige besetzen die Baustelle, andere exponieren sich z.B. in sozialen Medien. Ausgewählte, darunter laut „Falter“ zwei minderjährige Mädchen im Alter von 13 und 14 Jahren, haben nun Anwaltsschreiben von der Stadt Wien bekommen, in denen sie „mit Schadenersatzklagen in existenzbedrohender Höhe“ („profil“) konfrontiert werden.
„Es hat offenbar schon die reine Äußerung einer Meinung gereicht, um so einen Brief zu erhalten, nicht einmal die aktive Teilnahme an einem Camp“, erklärt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International, laut ORF.AT. Damit würde es sich um sogenannte „Slapp-Klagen“ handeln, bei denen Unternehmen oder Regierungen mittels wirtschaftlicher Übermacht versuchen, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Solche Klagen beobachte Amnesty etwa im Sudan und auch im Kosovo – dass dies einmal bei der Stadt Wien vorkommen könnte, „hätte ich mir nie gedacht“, so Schlack.
Man kann sich wirklich wundern darüber, es kommt andererseits aber nicht irgendwoher und trifft die Sozialdemokratie, die in der Bundeshauptstadt die politische Verantwortung dafür trägt, erstens zur Unzeit und zweitens brutal: Österreichweit liegt die Partei in Momentaufnahmen vorne und hofft auf baldige Neuwahlen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat sich wiederum zur Ausnahmeerscheinung im Coronakrisenmanagement entwickelt, wird vom Boden- bis zum Neusiedlersee gelobt und gerne auch als Kanzlerkandidat gesehen.
Jetzt folgt die Ernüchterung: Ludwig und GenossInnen können nach dem Abgang von Sebastian Kurz ohnehin schon weniger strahlen neben nicht mehr so krisengebeutelten Türkisen, da fällt das Licht wieder mehr auf sie und ihre Schwächen.
Eine solche Schwäche ist bald 40 Jahre sichtbar: „Hainburg“ ist auch ein Synonym für eine Zeitenwende. Bis dahin ist die SPÖ unter anderem für wirtschaftliche Modernisierung gestanden, aber halt mit Hilfe von ungehemmtem Ressourcenbrauch. Atomkraft? Logisch! Eine riesige Au opfern? Kein Problem! Das war die entscheidende Geburtshilfe für eine Ökobewegung, die nicht nur, aber auch von sehr vielen Jungen getragen wurde und die sich durch Grüne auf parteipolitischer Ebene etablieren konnte.
Die Sozialdemokratie hat nie ernsthaft darauf reagiert. Darüber kann man sich wundern: Verstärkt durch die Klimakrise ist gerade bei Jüngeren eine Bewegung weiter gewachsen, der Nachhaltigkeit bzw. „Retten, was noch gerettet werden könnte“ ein besonderes Anliegen ist. Die meisten dürften Mitte-Links angesiedelt sein. Das ist jedoch nebensächlich. Die SPÖ spricht Junge generell kaum noch an. Siehe Nationalratswahl 2019: Laut SORA kam die Partei bei unter 30-Jährigen auf 14 Prozent – ÖVP und Grüne erreichten mit je 27 einen fast doppelt so großen Stimmenanteil, die FPÖ mit 20 einen um die Hälfte größeren. Bei Uni-Absolventen bzw. Personen mit einem hohen Bildungsabsschluss nach formalen Kriterien, die erfahrungsgemäß am ehesten Wert auf Umwelt- und Klimapolitik legen, ist es ähnlich; für sie spielt die SPÖ nur eine untergeordnete Rolle. Die Partei habe „Megatrends“ verschlafen, erklärte der Politologe Anton Pelinka vor einigen Monaten in einem Telefonat.
In der Klimapolitik fällt das weniger auf. Bei der Steuerreform steht die SPÖ für Soziales, aber nicht für Ökologisches. Im Übrigen aber ist das abstrakt. Bei der Stadtstraße in Wien wird das Unvermögen, gemeinsam mit Jüngern Ökologisches zu betreiben, so greifbar, weil man sie in einer Art und Weise einschüchtern möchte, dass man schon aus Prinzip geneigt ist, sich mit ihnen zu solidarisieren.
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