Green Control

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ANALYSE. Schon bei den Regierungsverhandlungen haben die Grünen die Öffentlichkeitsarbeit der ÖVP überlassen. Das rächt sich.

Noch ist natürlich nicht aller Tage Abend. Wir befinden uns erst in den frühen Morgenstunden. Sehr vieles ist aber schon in die Wege geleitet worden. Die Rede ist von Türkis-Grün. Die ÖVP setzt nicht nur ihre „ordentliche Mitte-Rechts-Politik“ fort, sie hat auch die „Message Control“ wieder aufgenommen. Und zwar gleich auch über die Grünen, die noch keine Antwort darauf gefunden haben.

Die ÖVP macht Migrationspolitik, die Grünen kümmern sich um Klimaschutz. So genial und vielversprechend diese Arbeitsaufteilung für beide klingt, so ungleich ist sie in Wirklichkeit: Die ÖVP von Sebastian Kurz ist bei ihren Maßnahmen sehr konkret, während sich die Grünen nicht einmal trauen, Dinge auszusprechen, die für sie selbstverständlich sein sollten. Beispiel: Auf die Frage, ob das Dieselprivileg fallen soll, antwortete Umweltministerin Leonore Gewessler im ORF-Report nicht mit „Ja“, sondern damit, dass man über ein Gesamtpaket erst verhandeln müsse.

Wie das enden wird? Das wird man sehen. Viel mehr lässt sich daraus ablesen, wie das bei den Regierungsverhandlungen gelaufen ist. Die ÖVP ist ganz offensichtlich mit einer genialen Strategie hineingegangen: Wir schlagen den Grünen die erwähnte Arbeitsaufteilung vor und sagen ihnen, dass wir wirklich mit ihnen und nicht mit den Freiheitlichen koalieren wollen; dass sie dazu aber halt auch verstehen müssen, dass wir unserer Linie treu bleiben und sie sehr weitreichende Zugeständnisse machen sollten. „Aus Verantwortung für Österreich“, sozusagen. Das war Stufe eins.

Stufe zwei: Für das Beste aus ihrer Welt forderte die ÖVP eine Verschärfung sehr vieler Maßnahmen aus der türkis-blauen Zeit. Den Grünen will es gelungen sein, das Schlimmste davon abzuwenden. Ergebnis: Zumindest in Migrationsfragen kam nicht 200 Prozent türkis-blaue Handschrift, sondern „nur“ 100 Prozent. Sie erkennen, worauf das hinausläuft; der Kurs ist unverändert geblieben.

Verhängnisvoll war und ist für die Grünen bei alledem die Öffentlichkeitsarbeit: Sie haben sich bei den Regierungsverhandlungen türkiser „Message Control“ unterworfen. Sie waren diszipliniert und haben kaum etwas hinausgetragen. Nur hin und wieder gab es eine Unmutsäußerung, die von der breiten Masse aber kaum wahrgenommen worden ist. Schlussendlich mussten die Grünen unter diesen Umständen fast alles schlucken: Nachdem es schon Anfang Dezember unwidersprochenermaßen geheißen hatte, dass ein erfolgreicher Abschluss unmittelbar bevorstehe, konnten sie in weiterer Folge nicht mehr gut aufstehen und öffentlichkeitswirksam auf die Pauke hauen, um Druck auf die ÖVP zu machen; ein Verhandlungsabschluss konnte sowieso nicht mehr in Frage kommen: Nachdem nach draußen zu lange der Eindruck vermittelt worden war, dass hart, aber doch gut gepokert wird, wäre das Verständnis dafür bei den Leuten begrenzt gewesen.

Das Fatale für die Grünen ist, was darauf folgt und was Sebastian Kurz daraus macht: Im ORF-Doppelinterview mit ihm und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verkündete er, dass die Regierung „Mitte-Rechts“ (ÖVP-Beitrag) und Ökologie ist; dass der grüne Beitrag also ziemlich ideologiefreie „single issue“ ist. Wobei das dann auch genau so stehen geblieben ist. Kogler konnte kein anderes Bild davon zeichnen.

Seinen Weg setzt Kurz auch mit Hilfe konkreter Formulierungen im Regierungsprogramm und ein bisschen Unverschämtheit fort: So steht der Mitarbeiter, der für die Schredder-Affäre verantwortlich zeichnete, laut „Der Standard“ wieder in seinen Diensten. Zur Erinnerung: Werner Kogler hatte im Juli eine Aussendung mit folgendem Wortlaut dazu gemacht: „Die im Zuge der Schredder-Affäre im Raum stehenden Vorwürfe gegen Mitarbeiter von Ex-Kanzler Kurz sind massiv und schreien förmlich nach Aufklärung – denkbar in Form eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.“

Die Grünen haben sich in eine schwierige Lage führen lassen: Sie sind vielleicht nicht so gestrickt, ihre Sache so ungehemmt zu verfolgen, wie Kurz und Co. das tun. Vor allem aber haben sie sich Konfliktpotenziale nehmen lassen: Es ist schier unmöglich, dass sie beispielsweise den ersten Teil der Steuerreform, der eher nur ÖVP-Wünschen gehorcht, blockieren, weil bei „ihrem“ zweiten Teil zu vieles offen bleibt; zumal sie das ja schon selbst hingenommen haben und heute nicht einmal wagen, Minimalistisches wie eine Abschaffung des Dieselprivilegs zu fordern.

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