Faymanns Geist

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ANALYSE. SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner hält es in grundsätzlichen Strategiefragen mit ihrem Vorvorgänger. Das droht ihr nun zum Verhängnis zu werden. Und es stärkt eine Partei unheimlich: die FPÖ.

Der Einfluss von Ex-Kanzler Werner Faymann auf seine Nachnachfolgerin in der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, sei beträchtlich, heißt es. Sichtbar ist es jedenfalls: Wofür Faymann gestanden ist, ist schwer zu sagen. Zu vieles ist in Vergessenheit geraten. Ein ehemaliger Mitarbeiter von ihm hat einmal gemeint, er würde gerne ein Buch über ihn schreiben: Es würde aus leeren Seiten bestehen. Das ist böse. Aber: Faymann war kein Mann der Debatte. Er hat Inseratengeschäfte ins Kanzleramt geholt. Vor allem aber hat er sich bemüht, es einer Mehrheit recht zu machen bzw. es zu unterlassen, eine Mehrheit für zunächst vielleicht Unpopuläres zu begeistern. Also nichts zu tun, was Politik ausmachen würde.

In grundsätzlichen Strategiefragen erinnert Pamela Rendi-Wagner zunehmend daran: Sie ist mit dem Vorwurf konfrontiert, „nur“ unendlich große Anti-Teuerungspakete zu fordern, daneben aber nicht entschlossen auf eine Vermögensbesteuerung, ernsthafte Korruptionsbekämpfung und vieles andere mehr zu drängen. Sie unterlasse das, so die Kritik, weil sie mit der SPÖ allein vom Niedergang der ÖVP profitieren wolle. Sprich: Die SPÖ soll nicht gewinnen, weil sie sich als bessere Alternative für ein neues Österreich präsentiert, sondern weil die ÖVP abstürzt.

Das ist riskant, wie man heute weiß: Summa summarum zeigen Umfragen, dass eher die FPÖ auf dem aufsteigenden Ast ist. 2016 war sie schon einmal auf dem Weg zur Nummer eins. Faymann versuchte sich damals dadurch zu retten, dass er letztlich sogar die Bereitschaft signalisierte, auf ihre Flüchtlingspolitik umzuschwenken.

Rendi-Wagner hat schon vor zwei Wochen in einem ATV-Interview folgendes gesagt zu einem Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens: „Wenn wir sehen, dass in den letzten Monaten in Österreich die irreguläre Migration extrem gestiegen ist, der Außengrenzschutz nicht funktioniert und die Kontrollen nicht funktionieren. Der Zeitpunkt ist definitiv kein glücklicher und nicht der Richtige.“ Dabei ist sie geblieben. Es fällt einer bereiteren Öffentlichkeit erst jetzt auf, weil Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit dem Veto ernst machen ließ.

Nehammer macht sich hier genauso zum Getriebenen der FPÖ wie einst Faymann und heute Rendi-Wagner: Man traut sich nicht mehr, dagegenzuhalten. Ja, man kapituliert und gibt zu verstehen, dass man keine andere Linie mehr definieren mag.

Für die SPÖ-Vorsitzende ist das bitter: Nehammer ist in der Defensive; er ist Kanzler und wird das Amt früher oder später verlieren. Sie aber möchte es gewinnen. Dafür müsste sie offensiv agieren. Nicht nur gegenüber Nehammer, sondern auch gegenüber Herbert Kickl, einem bedrohlichen Mitbewerber für sie.

Die türkise populistische Verblödung hat die österreichische Politik weiter in Geiselhaft. Das Schengen-Veto ist ein Schuß ins eigene Knie aus billigsten Motiven. Mehr Engagement bei der Kritik der ÖVP-Haltung wär kein Fehler, sonst macht man sich zum Komplizen.

— Christian Kern (@KernChri) December 9, 2022

Christian Kern äußerte sich auf Twitter zutiefst enttäuscht. Er unterstellte Rendi-Wagner, ohne sie beim Namen zu nennen, sich bei Schengen zur Komplizin „türkiser populistischer Verblödung“ zu machen, die die österreichische Politik „weiter in Geiselhaft“ halte. Das ist nicht ganz korrekt: Die Politik lässt sich in freiheitlicher Geiselhaft halten. Einzig Sebastian Kurz ist es vorübergehend gelungen, den Eindruck zu erwecken, er sei frei. Genau genommen hat aber auch er ausschließlich freiheitliche Politik fortgesetzt, nur halt mit größerem Wahlerfolg als das Original. Seit seinem Rücktritt bestimmt zunehmend wieder das Original, also die FPÖ, schielt die ÖVP auf sie, um ihre Regierungspolitik festzulegen, und jetzt auch die SPÖ bei der Festlegung ihres Asyl- und Migraitonskurses.

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