ANALYSE. Kurzfristig hilft Nehammer die Unterstützung von Mikl-Leitner und Co. Längerfristig kann es zum Problem für Österreich werden.
Was will ein ÖVP-Bundesparteiobmann und Bundeskanzler mehr als die Unterstützung der mit Abstand wichtigsten Landesparteiorganisation und Landeshauptfrau? Von daher kann Karl Nehammer zufrieden sein. Sein Problem ist nur, dass er nicht nur die Unterstützung von Johanna Mikl-Leiter und Co. genießt, sondern ihnen verpflichtet ist. Andere Länder und deren Chefs tun diesbezüglich wenig bis nichts zur Sache; ihre Bedeutung ist im Vergleich zur niederösterreichischen verschwindend klein.
Genau genommen handelt es sich um ein Problem der gesamten ÖVP und – weil Nehammer auch Kanzler ist – eines von ganz Österreich. Zu viel niederösterreichische Politik ist nicht gut. Es handelt sich um eine Antithese zu Pluralismus und Offenheit. Zu Kritikfähigkeit und Transparenz. Zum 21. Jahrhundert.
In Niederösterreich funktioniert das, weil das Land ist, wie es ist: Lässt man die Umgebung von Wien weg, ist es sehr ländlich und katholisch geprägt. Es gibt noch immer sehr viele Bauern sowie Arbeiter und Angestellte. Das ist gut für die ÖVP, entsprechend stark sind Bauernbund und ÖAAB.
Auf der anderen Seite mangelt es in entscheidenden Teilen an gelebter Demokratie: Ausgerechnet in diesem, für österreichische Verhältnisse bevölkerungsreichen und riesigen Bundesland, gibt es keine unabhängige „Landes-Tageszeitung“. Wichtigstes Medium ist der ORF, dessen Landesdirektor von der Landeshauptfrau mitausgewählt wird. Medieninhaber der Wochenzeitung „NÖN“ ist über das Niederösterreichische Pressehaus zu einer Minderheit die Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und zur Mehrheit die römisch-katholische Diözese St. Pölten.
Sagen wir so: Die vierte Gewalt hat nicht die Kraft, die sie haben sollte. Die Volkspartei wird kaum gefordert. Sie kann eher ungestört herrschen: Transparenz kann sie als Lippenbekenntnis vor sich hertragen. Es galt schon als Errungenschaft, als vor einigen Jahren begonnen wurde, auch nur die Protokolle der Landesregierungssitzungen zu veröffentlichen.
Regiert wird nach Proporz: Alle größeren Parteien sind an Bord, also nicht in Opposition. Als die SPÖ unter Josef Leitner einst versuchte, trotzdem einen angriffigen Kurs zu fahren, lernte er den damaligen ÖVP-Sekretär und heutigen Innenminister Gerhard Karner kennen. Dieser deckte ihn in Aussendungen mit Begriffen wie „Nestbeschmutzer“, der mit „landesfeindlichen“ „Stasi-Methoden“ arbeite, ein. Das hat Fabian Schmid von der Tageszeitung „Der Standard“ am Wochenende zusammengetragen und auf Twitter veröffentlicht.
Das Land ist schwarz und inseriert über Beteiligungsunternehmen gerne auch bei parteinahen Vereinen wie dem Alois Mock-Institut von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Der ehemalige LH-Stellvertreter weiß viel, wie er in einem „Österreich“-Interview demonstriert hat: Der Glücksspielkonzern „Novomatic“ stelle beispielsweise einen sechsstelligen Betrag für Sponsoring in Niederösterreich zur Verfügung – und werde vom Land beraten, mit wem er’s „machen“ solle.
Gerhard Karner hat gerade auch als Bürgermeister der Gemeinde Texingtal (südwestlich von St. Pölten) Schlagzeilen gemacht. Die Gemeinde führt im Geburtshaus des Austrofaschisten Engelbert Dollfuß ein Museum. Kritikerinnen und Kritiker vermissen eine distanzierte Auseinandersetzung mit Dollfuß.
All das wird prägend sein für Karl Nehammer. Das eine mehr, das andere weniger, Vereinzeltes im besten Fall vielleicht gar nicht. Sollte er die Absicht haben, beispielsweise endlich für Transparenz in Staat und Parteien zu sorgen, dann kann er das vergessen. Das wäre eine Kampfansage an Niederösterreich, und Niederösterreich darf er bis zur dortigen Landtagswahl Anfang 2023 schon gar nicht lästig sein. Johanna Mikl-Leitner geht es dann um die Verteidigung einer absoluten Mandatsmehrheit – der letzten ihrer Art neben dem Burgenland, wo die demokratiepolitischen Verhältnisse (einschließlich fehlender Tageszeitung) wohl nicht zufällig so ähnlich sind; nur halt in rot.
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