ANALYSE. FPÖ-Chef Kickl würde gerne den Eindruck erwecken, alle Österreicher:innen zu vertreten und durch Bundespräsident Van der Bellen als Person ausgegrenzt zu werden. Beides ist hanebüchen.
„Kickl will Bundespräsident Demokratie beibringen“, titelte die „Kronen Zeitung“ nach dem ORF-Sommergespräch mit dem FPÖ-Vorsitzenden, der den Vornamen Herbert trägt. Man weiß nicht, wie es gemeint war: Ironisch oder ernst im Sinne des Rechtspopulisten? Es wurde offengelassen.
Kickl selbst versuchte im Sommergespräch jedenfalls nicht nur, sich einmal mehr als „Volkskanzler“ zu empfehlen. Als selbsternannter Kandidat für ein solches Amt unterstellte er Bundespräsident Alexander Van der Bellen auch, ihn als Regierungschef verhindern zu wollen und damit eine „Verschwörung gegen die Bevölkerung“ zu betreiben. Er, Kickl, werde ihm aber schon noch Demokratie beibringen.
Der FPÖ-Chef, ein großer Demokrat? Eher ein Demagoge: Er redet seinen Anhängern ein, für das Volks zu stehen. Und er verstärkt seine Kampagne gegen Van der Bellen.
Die Argumente sind hanebüchen und gezielt irreführend. Es ist daher notwendig, darauf einzugehen.
Erstens: Selbst wenn Kickl die FPÖ als deren Spitzenkandidat auf die knapp 30 Prozent führt, die sie derzeit in Umfragen hält, kann er daraus keinen Anspruch auf das Kanzleramt ableiten. Und schon gar keinen Wählerwillen. Dieser wird beim Urnengang nicht erhoben, er lässt sich lediglich abschätzen: Bei Umfragen zum Kanzleramt wünschen sich etwa 80 Prozent nicht Kickl. Bei der jüngsten Erhebung zum APA/OGM-Index erklärten im Übrigen 70 Prozent, ihm kein Vertrauen zu schenken.
Zweitens: Kickl weiß das und mit dem Sommergespräch hat er deutlich gemacht, dass er sich auch keine Chancen ausrechnet, diese Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten umzudrehen. Er hat sich vielmehr als derjenige dargestellt, der vom System (Van der Bellen) ausgegrenzt wird. Es geht ihm darum, die knapp 30 Prozent, die seine Partei hält, zu festigen.
Drittens: Er täuscht darüber hinweg, dass es beim Kanzleramt auf zwei Dinge ankommt. Zum einen ist das eine parlamentarische Mehrheit, also Koalition. Zum anderen – weniger stark – den Bundespräsidenten. Außerdem täuscht Kickl darüber hinweg, dass sich Van der Bellen nicht gegen ihn persönlich ausgesprochen hat, sondern erklärt hat, worauf es ihm inhaltlich ankommt (unter anderem bei einer Regierungsbildung): Ein Bekenntnis zur bisherigen Ukraine-Politik etwa, bei der es darum gehe, Wladimir Putins Angriff auf das westeuropäische Lebensmodell entgegenzutreten, sowie ein Bekenntnis zur europäischen Integration. „Wer mit der Idee eines Öxit auch nur spielt, spielt mit der Zukunft Österreichs“, sagte Van der Bellen zu Beginn seiner zweiten Amtszeit im heurigen Jänner.
Kickl erfüllt die Voraussetzungen nicht. Er tut es gezielt nicht. Er will sich nicht klar zur österreichischen EU-Mitgliedschaft bekennen, sagte im Sommergespräch hämisch, dass die EU ja kein tausendjähriges Reich sei.
Das war eine zentrale Botschaft: Der Mann ahnt, dass er kaum jemals Kanzler wird und er versucht daher im Unterschied zu Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache, die das in gewissen Momenten taten, auch gar nicht, sich staatsmännisch zu geben. Sein Markenzeichen ist das Gegenteil davon – und das pflegt er. Mehr hat er nicht.
Letztlich spricht Kickl Van der Bellen indirekt jegliche Legitimation ab, bei der Regierungsbildung mitzureden. Er tut so, als habe er bedingungslos zu akzeptieren, was ein bzw. zwei Parteiobleute, die eine parlamentarische Mehrheit hinter sich haben, wünschen.
Würde es Kickl um die Sache gehen, würde er, wenn schon, denn schon, ÖVP-Obmann Karl Nehammer und dessen Parteifreunde attackieren. Diese schließen ihn wirklich persönlich als Kanzler aus. Natürlich: Sie könnten wortbrüchig werden. Was sie jetzt sagen, ist aber der entscheidende Grund dafür, dass sich Kickl das Amt in die Haare schmieren kann. Van der Bellen tut eigentlich wenig zur Sache. Gegen ein blau-türkises Bündnis mit parlamentarischer Mehrheit, das auf Kickl besteht, könnte er nichts ausrichten.
Die ÖVP und der Bundespräsident haben das Recht, Kickl im Falle eines Wahlsiegs nicht durchzuwinken. Zumal sich dieser als Volkskanzler empfiehlt, ist ein Punkt dazu aufgelegt: Van der Bellen genießt nicht nur laut Umfragen das Vertrauen einer deutlichen Mehrheit, er ist auch mit einer absoluten Mehrheit direkt gewählt; und zwar im Bewusstsein um seine Rolle bei Regierungsbildungen (und -krisen wie 2019). Er verfügt über die größtmögliche demokratische Legitimation.
Wenn sich einer als Volksvertreter inszenieren könnte, dann wäre es der Bundespräsident. Aber er tut es nicht. Er weiß, dass es eine demokratische Anmaßung ist, so zu tun, als könne man vollumfänglich für 100 Prozent der Wählerinnen und Wähler stehen.