Demokratie aus Versehen

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ANALYSE. Wäre es nach (bisher) entscheidenden SPÖ-Funktionären gegangen, hätte es nie eine Mitgliederbefragung gegeben. Es war ein Glück, dass es anders kam – und ist bedauerlich, dass es wohl die Ausnahme bleiben wird.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, führende Gewerkschafter oder etwa die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures hatten Pamela Rendi-Wagner nicht mehr einfach nur als SPÖ-Vorsitzende halten können. Vor allem, nachdem der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil angekündigt hatte, sich um die Nachfolge zu bemühen. Und nachdem sich weitere Kandidaten abgezeichnet hatten. Insofern war die Mitgliederbefragung, die es aus ihrer Sicht nie hätte geben dürfen, ein Zugeständnis, das in die Parteigeschichte eingehen wird: Die, die formal mächtig sind, hatten real weniger Gewicht denn je.

Vielleicht ist die Mitgliederbefragung bei all den Unsäglichkeiten, die damit einhergegangen sind, sogar eine Sternstunde parteiinterner Demokratie – auch wenn sie gewissermaßen aus Versehen zustande gekommen ist und zu einer Sternschnuppe werden könnte.

Natürlich: Man sollte nicht so tun, als wäre parteiinterne Demokratie in der Geschichte der Zweiten Republik groß gepflegt worden. Damit hervorgetan haben sich eher erst Grüne und dann Neos. So wenig wie heute hat es sie aber noch nie gegeben.

Die FPÖ hat sich unter Jörg Haider zu einer Führerpartei entwickelt. Die ÖVP folgte unter Sebastian Kurz. Beklemmend sind die Bilder von einer türkisen Veranstaltung in der Wiener Stadthallte mit einem gleichgeschaltet wirkenden Publikum, das allein auf ihn ausgerichtet ist. Schlimmer waren die weitreichenden Befugnisse, die Kurz von den Landeshauptleuten eingeräumt wurden. Der Mann durfte machen, was er will. Österreich hatte eine zweite Führerpartei.

Nachfolger Karl Nehammer ist nicht Kurz, behielt jedoch die Befugnisse und wurde vor einem Jahr zum Parteichef gemacht. „Gewählt“ wäre übertrieben: Auf dem damaligen Parteitag gab es vorgedruckte Stimmzettel, die die Delegierten nur abgeben mussten. De facto war das alternativlos: Hätten sie keinen Zettel abgegeben, hätten sie sich ebenso verdächtig gemacht wie dann, wenn sie eine Wahlkabine aufgesucht hätten.

In der SPÖ wurde der Spieß nun umgedreht. Mit der Mitgliederbefragung ging maximaler Kontrollverlust für Ludwig und Genossen einher. Das Ergebnis war nicht absehbar. So geht Basisdemokratie.

Wobei man eben nüchtern bleiben sollte: Davon auszugehen, dass jetzt an der Spitze aller Parteien das große Selbstbewusstsein insofern angesagt ist, als man sich darauf verlässt, so überzeugend zu wirken, dass gerne die einfachen Mitglieder entscheiden dürfen, wer Vorsitzende:r oder Obmann bzw. Obfrau sein soll, wäre verwegen. Es war ja auch in der SPÖ nicht so geplant.

Das ist ein Problem: Gerade repräsentative Demokratie lebt von parteiinterner Demokratie. Gibt es diese nicht, handelt es sich um eine Herrschaft von Parteispitzen. Siehe ausgerechnet die SPÖ in diesen Tagen: Indem Pamela Rendi-Wagner angekündigt hat, dass ihre Fraktion auf parlamentarischer Ebene keinen „Zweidrittelmaterien“ mehr zustimmt, solange es keine Markteingriffe zur Senkung von Preisen gibt, hat sie ihren Abgeordneten auch öffentlich mitgeteilt, wie sie im Falle des Falles abzustimmen haben: mit „Nein“. Dass sich keiner aus Prinzip dagegen verwehrt hat (Stichwort „Freies Mandat“) macht die Sache nicht besser. Genauso wenig wie die Tatsache, dass es sich um eine mehr oder weniger „normale“ Praxis handelt: Mandatare tun, was von ihren verlangt wird. Und nicht so sehr, was ihres Erachtens vernünftig wäre oder Wähler von ihnen erwarten.

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