ANALYSE. In Wien hat die Volkspartei bei den letzten drei Gemeinderatswahlen insgesamt 133.000 Wähler verloren. Diesmal ganz besonders an Meinl-Reisinger und Co.
Schwacher Trost für ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner und seinen Generalsekretär Gernot Blümel: Mit ihrem Ziel, die Partei „jung, modern und weiblich“ zu machen, sind sie richtig gelegen. Allein: Es rächt sich, dass sie es ganz offensichtlich nicht erreicht haben. Bei der Gemeinderatswahl erlitt die ÖVP vor allem bei den Unter-30-Jährigen ein Debakel. Wie das urbane Bürgertum dieses Mal überhaupt nicht schwarz, sondern pink wählte.
Bei den letzten drei Gemeinderatswahlen hat die Wiener ÖVP laut den ORF-/SORA-Wählerstromanalysen insgesamt 133.000 Wähler verloren (und viel weniger gewonnen). Zum Vergleich: Am 11. Oktober 2015 erreichte sie 59.030 Stimmen. Ihr Problem sind in all den Jahren seit 2005 nicht allein die Freiheitlichen auf der einen und die Grünen auf der anderen Seite gewesen. Mit 41.000 gingen ähnlich viele Wähler zur SPÖ wie zur FPÖ (45.000). Der Abgang an die Grünen fiel mit 12.000 Stimmen sogar überraschend bescheiden aus. Vor allem, wenn man bedenkt, dass allein diesmal 19.000 ehemalige ÖVP-Anhänger pink wählten.
Das weist schon darauf hin, wo die ÖVP zumindest im urbanen Raum ein echtes Problem hat: Die NEOS sind für einen Teil ihrer Zielgruppe das attraktivere Angebot:
- Bei den Unter-30-Jährigen erreichte die Wiener ÖVP bei der Gemeinderatswahl 2015 gerade einmal sechs Prozent. Ein Alarmsignal auch für Vizeparteichef Sebastian Kurz; die Zukunftshoffnung der Partei, die im Wahlkampf immer wieder an der Seite von Spitzenkandidat Manfred Juraczka auftrat, zog nicht. Die NEOS waren in dieser Altersgruppe nahezu doppelt so stark; sie schafften elf Prozent.
- Das bürgerliche Lager kann am Ehesten in drei Gruppen vermutet werden, für die SORA das Wahlverhalten im Besonderen auswertete: Bei den Angestellten ist die ÖVP von 17 Prozent (2010) auf nunmehr sieben Prozent eingebrochen. Die NEOS kamen auf acht Prozent. Bei den Selbstständigen holte die ÖVP nach 18 nur noch 13 Prozent. Die NEOS kamen immerhin auf zehn Prozent. Und bei den Uni-Absolventen liegen die beiden Parteien gleichauf bei 13 Prozent.
Allein bei den Frauen kommen sowohl die ÖVP als auch die NEOS weniger gut an als bei Männern; bei ihnen liegen ihre Stimmenanteile mit neun bzw. fünf Prozent etwas unter ihrem Gesamtergebnis – was insbesondere bei den NEOS bemerkenswert ist, traten diese doch mit einer Spitzenkandidatin (Beate Meinl-Reisinger) an.
Die ÖVP zeigt sich indes bereit, Lehren aus alledem zu ziehen: Gernot Blümel soll laut der Tageszeitung „Die Presse“ die Wiener Partei übernehmen – damit erhält er eine zweite Chance, den „Jung, modern, weiblich“-Kurs umzusetzen.