Bitterer Vorgeschmack

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ANALYSE. An Koalitionskonflikte wie jenen zum Renaturierungsgesetz wird man sich gewöhnen müssen. Sehr wahrscheinlich werden sie zur Regel.

ÖVP-Chef, Bundeskanzler Karl Nehammer hat ein großes Problem. Bildhaft gesprochen ist er auf einen Baum geklettert und hat nicht mehr gewusst, wie er herunterkommen soll. Daher die Blamage: In Bezug auf die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und ihre Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz sprach er von Verfassungsbruch und sorgte nicht für das, was folgen müsste, das Ende der Koalition nämlich.

Schlimmer für ihn: Freiheitliche, mit denen er in einem Wettstreit um Wähler ist, für die Umwelt- und Klimaschutz einfach nur unnötig, ja lästig ist, legen nach. Sie werden einen Misstrauensantrag gegen Gewessler einbringen. Türkise Nationalratsabgeordnete dürfen dann zeigen, wie das jetzt mit dem Vertrauensbruch wirklich ist, den Nehammer ebenfalls geortet hat.

Noch schlimmer für ihn: Er hat jetzt schon beteuert, nie im Leben mit FPÖ-Chef Herbert Kickl eine Regierungszusammenarbeit einzugehen. Bei der Gelegenheit versucht er immer auch zu vermitteln, dass SPÖ-Chef Andreas Babler aus seiner Sicht auch nicht viel besser sei. Im Übrigen hat er gerade festgestellt, dass das wahre Gesicht der Grünen sei, Ideologie über Recht zu stellen. Lauter Leute mit Parteien also, mit denen kein Staat zu machen ist? So kommt es rüber.

Von daher bleibt Nehammer nur noch eine Option ohne Mehrheit: Türkis-Pink. Neos hat er bisher jedenfalls am wenigsten abgelehnt.

In gewisser Weise läuft er Gefahr, sich zu isolieren. Wobei man nicht übersehen sollte, dass das durchaus wahlkampfmotiviert ist: Es geht darum, möglichst vielen Wählern zu signalisieren, dass er der einzig Vernünftige sei.

Am Tag nach der Nationalratswahl wird er das freilich genauso vergessen können wie Herbert Kickl sein Volkskanzler-Gerede, das den Eindruck erwecken soll, dass er allein das einzig Wahre durchsetzen werde. Beides ist lächerlich.

Es kann nie im Leben aufgehen: Sollte Nehammer seinen Poker gegen Kickl bei der Regierungsbildung fortsetzen wollen, braucht er neben Neos unter anderem auch Sozialdemokraten und Grüne als mögliche Partner. Sonst hat er eine dankbar schlechte Verhandlungsposition. Kann er das Ganze überhaupt vergessen.

Herbert Kickl wiederum muss froh sein, wenn sich eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP auch nur ein rechnerisch ausgeht. Wenn er sich daneben nicht glaubhaft um Unterstützung bei jenen bemühen muss, die er heute als Feinde darstellt, ob Grüne oder Sozialdemokraten.

Wichtiger ist jedoch dies: Der eine, der vorgibt, der einzig Vernünftige zu sein und der andere, der mit 25, 30 Prozent-Wähler-Unterstützung so tut, als werde er das einzig Wahre durchsetzen, in Verbindung mit übrigen Parteien, die wissen, dass sie zur Gewährleistung einer Mehrheit auf parlamentarischer Ebene gebraucht werden, das läuft in Summe darauf hinaus, dass Konflikte wie nun eben jener zum Renaturierungsgesetz zur Regel werden. Dass man zum Beispiel in EU-Räten einfach durchzieht, was man für richtig hält. Ob es gut ist oder nicht.

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