50 Prozent für Hofer müssen Folgen haben

  • ANALYSE. Der Wahlerfolg des Freiheitlichen wird auch Entwicklungen beschleunigen, von denen das Land letzten Endes profitieren kann. 
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ANALYSE. Der Wahlerfolg des Freiheitlichen wird auch Entwicklungen beschleunigen, von denen das Land letzten Endes profitieren kann.

Wie die Bundepräsidenten-Wahl ausgegangen ist, bleibt vorerst offen. Too close to call. Gewissheit wird es möglicherweise erst nach Auszählung der Wahlkarten am Montagabend geben. So oder so wird der Ausgang jedoch eine Zäsur darstellen: Entweder wird Österreich eines der ersten Länder weltweit, das ein grünes Staatsoberhaupt hat. Oder es bekommt einen Rechtsaußen-Vertreter, der als Kampfansage an das bestehende System zu verstehen ist. Doch das würde zumindest Entwicklungen beschleunigen, von denen das Land letzten Endes profitieren kann.

30 Jahre währt der Aufstieg der Freiheitlichen und der Niedergang von SPÖ und ÖVP nun schon. Zwischendurch schien er gestoppt zu sein; doch das war ein Irrtum, wie man heute weiß. Setzt sich die bisherige Entwicklung fort, scheint es im Grunde genommen nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Freiheitlichen (oder einer ihrer Vertreter) ganz vorne stehen. Vielleicht ist es schon bei dieser Präsidentschaftswahl der Fall, vielleicht auch später.

Sehr viel spricht aber dafür, dass nun etwas in Gang gesetzt wird, was nicht automatisch zu einem Bundeskanzler Heinz-Christian Strache führt. Was heißt wird: Man muss sich nur den Hintergrund anschauen, vor dem der Führungswechsel in der Sozialdemokratie soeben stattgefunden hat: Wäre der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer im ersten Wahlgang nicht auf 35 Prozent gekommen, der Kanzler und Parteivorsitzende hieße wohl noch immer Werner Faymann. Das Ergebnis war jedoch ein letztes Warnsignal: Jetzt muss etwas geschehen, sonst ist die SPÖ endgültig verloren. Und tatsächlich hat nun mit Christian Kern ein Mann die Nachfolge Faymanns angetreten, dem sehr viel zuzutrauen ist.

Vor diesem Hintergrund drängt sich ein trauriger Verdacht auf: Damit sich die österreichische Politik in eine vernünftige Richtung entwickelt, braucht es freiheitliche Triumphe. Ohne sie wäre die Regierungskrise (fürs erste) jedenfalls nicht überwunden worden. Die rund 50 Prozent für Hofer können noch mehr auslösen:

  • Um bei Kern zu bleiben: Die bedrohliche Übermacht des Mitbewerbers FPÖ weitet seinen innerparteilichen Spielraum aus. Mit dem (ausgesprochenen oder unausgesprochenen) Hinweis darauf, dass man sonst verloren wäre, kann er nun so gut wie alles durchsetzen.
  • Das Land sei gespalten, heißt es überall. Das vernebelt jedoch die Verhältnisse: Zum einen hat gerade auch in dem Wahlkampf kaum eine Auseinandersetzung in dem Sinne stattgefunden, dass Hofer herausgefordert worden wäre. Er hatte leichtes Spiel. Zum anderen aber würde dem Land eine politische Auseinandersetzung guttun. Das könnte dann auch endlich so etwas wie gelebte Demokratie sein.
  • Die 2. Republik wird seit Monaten nahezu täglich zu Grabe getragen. Auch das ist irreführend: SPÖ und ÖVP sind zwar tragende Akteure gewesen; nur weil sie nicht mehr überall an der Macht sind, heißt das aber noch lange nicht, dass die 2. Republik nicht mehr existiert. Im Gegenteil, auch das zeugt von Demokratie.
  • Viel wichtiger aber noch ist, dass der Wahlerfolg Hofers zu einer Repolitisierung geführt hat: Zum Teil konnte im Wahlkampf der Eindruck entstehen, er sei der einzige, der weiß, was ein Bundespräsident kraft Verfassung tun darf. Zu sehr hatte man sich an die (mehr oder weniger bedeutungslose) Rolle gewöhnt, die das Staatsoberhaupt in der (rot-schwarzen) Realverfassung einnimmt. Die Realverfassung ist aber nicht die Verfassung. Also ist es an der Zeit, sich wieder auf sie zurückzubesinnen.
  • Die Verfassung würde den politischen Akteuren auch „schärfere“ Funktionen geben: Der Bundespräsident ist beispielsweise nicht (wie bisher meist) „Freund“ der Regierung und der Nationalrat nicht (wie bisher immer) Vollzugsorgan dieser. Ein Norbert Hofer in der Hofburg würde Regierung und Nationalrat sehr wahrscheinlich sogar dazu zwingen, ihrer eigentlichen Bestimmung gerecht zu werden; sie wären vor allem auch als Gegengewichtig zu einem Bundespräsidenten gefordert, dem allerlei zuzutrauen ist.

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