Wien verliert

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BERICHT. Die Bundeshauptstadt verzeichnet das mit Abstand größte Bevölkerungswachstum. Politisch spiegelt sich das jedoch nicht wider. Im Gegenteil.

Die Zusammensetzung der beiden Kammern des Parlaments ändert sich nicht nur durch Wahlen. Aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklungen wird auf Tirol künftig ein Nationalratsmandat mehr entfallen und auf Kärnten eines weniger. Der Bundesrat, wo das Ganze etwas anders geregelt ist, wird überhaupt kleiner: Statt 61 hat er nur noch 60 Mitglieder. Wien verliert einen Sitz.

Ausgerechnet Wien: Seit 2002 ist die Einwohnerzahl der Bundeshauptstadt um mehr als ein Viertel gestiegen – und damit mehr als doppelt so stark wie jene von ganz Österreich. Maßgebend für die parlamentarische Ebene, also die Volksvertretung, ist jedoch die Entwicklung der Bevölkerung mit österreichischer Staatsangehörigkeit*. Und sie ist in Wien in den vergangenen Jahrzehnten sogar leicht zurückgegangen.

Österreichweit hat sie dagegen leicht zugenommen. Stärker tat sie dies in Vorarlberg, Tirol und Niederösterreich, kaum in Oberösterreich, Salzburg und dem Burgenland. Bei einem insgesamt unterdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum zurückgegangen ist sie – neben Wien – in der Steiermark und ganz besonders in Kärnten (minus 5,8 Prozent seit 2002).

Parteipolitisch betrachtet läuft auf parlamentarischer Ebene alles in allem eine Verschiebung von SPÖ- zu ÖVP-geführten Bundesländern. Gestoppt oder gebremst werden könnte sie nur durch Beiträge, die möglicherweise zu mehr Einbürgerungen führen würden. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) spricht sich für Erleichterungen aus. Die ÖVP lehnt dies ab. Argument: Die Staatsbürgerschaft sei ein hohes Gut.

In Wien hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung eine nicht-österreichische Staatsangehörigkeit. Mit einem hohen Anteil gehe grundsätzlich „ein demokratiepolitisches Problem“ einher, stellt die Akademie der Wissenschaften in einer – von der Stadt unterstützten – Studie fest, weil die Interessen der ausländischen Staatsbürger:innen „nicht ausreichend zur Geltung kommen“ würden. Salopp formuliert: Ausschließlich mit Blick auf das nächste Wahlergebnis gibt es für eine Partei und ihre Kandidat:innen keinen Grund, solche Interessen zu berücksichtigen: Diese Leute bringen ja keine Stimmen.

Die parteipolitische Dimension bei alledem kann man schwer überschätzen. Zur Erinnerung: In einer SMS schrieb der damalige Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, 2017 an einen engeren Sebastian Kurz-Vertrauten: „Politik finanzieren wir durch Änderungen in SPÖ-Hochburgen, wo viel zu holen ist und es niemandem wehtut.“

*Maßgebend für die Mandate, die vergeben werden, sind die Ergebnisse von Volkszählungen. Die letzte fand 2021 statt. Für diesen Text und die Grafik berücksichtigt wurden die seit 2002 verfügbaren Angaben, die die Statistik Austria alle drei Monate auf Basis des Melderegisters aktualisiert.

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